Per Interrail alleine durch Europa

Oktober 2022

  1. Oktober 2022
  2. Die Tage davor
    1. Dienstag, 27. September 2022 – Noch 4 Tage
    2. Mittwoch, 28. September 2022 – Noch 3 Tage
    3. Donnerstag, 29. September 2022 – Noch 2 Tage
    4. Freitag, 30. September 2022 – Noch 1 Tag
  3. Samstag, 1. Oktober 2022 – Es geht los
    1. Deutschland
    2. Österreich
    3. Slowenien
  4. Sonntag, 2. Oktober 2022 – Der schönste See Europas
    1. Bled
    2. Vintgar Klamm
  5. Montag, 3. Oktober 2022 – Zwischen Nebel und Sonnenuntergang
    1. Bohinj
    2. Ljubljana
    3. Italien – Triest
  6. Dienstag, 4. Oktober 2022 – Triest und die beste Pizza meines Lebens
    1. Triest
  7. Mittwoch, 5. Oktober 2022 – Die Höhle von Postojna
    1. Postojna
    2. Zidani
    3. Zagreb
  8. Donnerstag, 6. Oktober 2022 – Zagreb, Ernüchterung und Heimkehr
    1. Zagreb
    2. Im Zug
    3. Split
  9. Freitag, 7. Oktober 2022 – Urlaub in Split
  10. Samstag, 8. Oktober 2022 – Geschichten, die das Leben schreibt
    1. Split
    2. Pakostane
  11. Sonntag, 9. Oktober 2022 – Abschied, Sonnenuntergang und nächtliche Fährfahrten
    1. Split
  12. Montag, 10. Oktober 2022 – Endlich wieder Italien!
    1. Ancona
    2. Rimini
  13. Tag 11 – Land Nr. 4 und Kulturtourismus
    1. Rimini
    2. San Marino
    3. Ravenna
  14. Mittwoch, 12. Oktober 2022 – La dotta und auf den Spuren Julias
    1. Bologna
    2. Verona
  15. Donnerstag, 13. Oktober 2022 – Renaissance, Olymp und Heilige
    1. Vicenza
    2. Padua
  16. Freitag, 14. Oktober 2022 – Venedig, Indiana Jones und der Heilige Gral
  17. Samstag, 15. Oktober 2022 – Zwischen Gold, Blasmusik und Bahnhöfen
    1. Venedig
    2. Udine
    3. Der Nachtzug nach Wien
  18. Sonntag, 16. Oktober 2022 – Albtraum, Tod und Zerstörung
    1. Der Bahnhof von Udine
  19. Montag, 17. Oktober 2022 – Tagesausflug nach Budapest
  20. Dienstag, 18. Oktober 2022 – Tagesausflug nach Salzburg
  21. Mittwoch, 19. Oktober 2022 – Die schönste Bibliothek der Welt
  22. Donnerstag, 20. Oktober 2022 – Transfertag
  23. Freitag, 21. Oktober 2022 – Prager Herbst
  24. Samstag, 22. Oktober 2022 – Böhmische Dörfer, Knochen und noch mehr Kirchen
    1. Kutná Hora
    2. Brünn
    3. Prag
  25. Sonntag, 23. Oktober 2022 – Schreckliches Wasser und leckeres Bier
    1. Marienbad
    2. Pilsen
  26. Montag, 24. Oktober 2022 – Heimkehr
  27. 24 Tage Interrail – Statistiken
  28. 24 Tage Interrail – Mein Fazit
  29. Du willst keine neue Geschichte verpassen?

Die Tage davor

Dienstag, 27. September 2022 – Noch 4 Tage

Ich kann nicht mehr. Noch zwei Tage bis zur fünften und letzten Prüfung meines Staatsexamens. Ich bin müde. Seit 11 Wochen lerne ich durchgängig. Und davor das achte Semester, auch kein Zuckerschlecken. Die Wörter meiner Zusammenfassung verschwimmen zu einem Meer aus Buchstaben. Eigentlich müsste ich aufgeregt sein. Ich fühle eine unendliche Leere. Es ist bald vorbei. Der Gedanke hilft. Langsam kommt etwas Vorfreude auf. Nicht auf die Party danach. Dafür bin ich zu müde. Ich freue mich auf den Oktober. Seit Jahren habe ich von einer großen Interrail-Reise geträumt und bald wird dieser Traum war. Selbst wenn ich das jetzt noch nicht realisieren kann. In 4 Tagen kann ich das hoffentlich realisieren. Hoffentlich, sonst wird die Traumreise zum Höllentrip. Ich bin optimistisch. Schließlich wird es mein Monat. 31 Tage nur für mich. 31 Tage, an denen ich alleine unterwegs bin. Endlich habe ich Zeit für mich und für das, was ich liebe: Reisen & Schreiben.

Mittwoch, 28. September 2022 – Noch 3 Tage

Zwiespalt. Auf der einen Seite bin ich müde und meine Beine tun trotz bequemen Bett weh. Wie soll das auf der Reise werden? Auf der anderen Seite kommt die Vorfreude auf. Packen wollte ich erst nach dem Staatsexamen, aber ich ertappe mich, wie ich immer mehr vorbereite und meine Gedanken an die Reise abdriften. Jetzt noch einen Tag fokussieren. Bis Samstag. Bis mein Abenteuer beginnt. Und ich bin mir sehr sicher, dass mit der Freude auch die Kraft in meinen Beinen wiederkommt! So hatte ich heute einen kurzen Motivationsschub, als mich meine Eltern nach Reiseempfehlungen für eine Reise nach England nächstes Jahr gefragt haben. Ach Britannien, meine große Liebe und Heimat! Ich muss nur noch morgen überstehen.

Donnerstag, 29. September 2022 – Noch 2 Tage

Freiheit! Ich kann es noch gar nicht fassen, ich bin frei! Ich habe es geschafft! Das zweite Staatsexamen ist bestanden und das sogar wirklich gut! Mein Studium ist offiziell vorbei. Ein Lebensabschnitt ist zu Ende. Mein Glück schwebt noch vor mich, ich kann es nicht begreifen. Es kommt erst die Erleichterung dann die Vorfreude auf die Reise. Ich freue mich so sehr auf die nächsten Tage, es lässt sich nicht in Worte fassen. Ich bin glücksstumm. Voller Elan ist mein Rucksack gepackt. Ein Rucksack für knapp einen Monat zu packen, ist im Übrigen gar nicht so trivial, wie ich anfangs dachte. Ich hoffe auf Waschmaschinen, kein Regen und keine Hitze. Ich bin gespannt, wie das enden wird. Der Rucksack kann noch so schwer sein, mit dieser Freude fliegt er so sanft wie eine Feder. Die Lethargie der letzten Tage ist verflogen. Ich bin dem Reisefieber verfallen. Und – enger Terminkalender sei Dank – hat mein flammendes Fieber neues Benzin bekommen. So haben wir (mein Bruder, seine Freundin und ein guter Freund) heute auch die Unterkunft für unseren Urlaub nach New York City im November gebucht. So vieles, was ich bald sehen kann. Das Leben kann so schön sein! Und bald geht es endlich los!

Freitag, 30. September 2022 – Noch 1 Tag

Ich kann es immer noch nicht fassen. Die Realität und mein Glück schweben weiter vor mir. Morgen startet mein Abenteuer. Die Vorfreude ist so unendlich groß! Meine Beine und mein Körper fühlen sich trotzdem noch so unfassbar müde an. Und das, obwohl ich das erste Mal seit knapp 3 Monaten ohne Wecker aufstehen konnte. Ich habe auch das erste Mal seit langer Zeit wieder Zeit und Muße, an meinem Blog zu schreiben. Mittags geht es für mich ein letztes Mal an den Campus Riedberg der Goethe Uni. Zur Feier des Examens und als Vorrat für die nächsten Wochen wird das all you can eat Sushi geplündert. Im Nachhinein eine dumme Idee. Ich verbringe den Rest des Tages in komatöser postprandialer Schwere. Mit letzter Kraft kann ich die Unterkunft für Tag 1 und 2 buchen. Mit den letzten Wochen in den Beinen und dem Essen im Magen ist die Party für mich eine Tortur. Einige feiern, viele ertränken den Frust über die Hölle der letzten Wochen im Alkohol und ich sitze halb schlafend an der Seite. Warum wollte ich den Zug um zwei Uhr nachts nehmen? Zwei mal muss dabei umsteigen und die zehn Minuten Zeit dafür bringen mich jetzt schon zur Verzweiflung. Je später es wird, umso müder werde ich. Es ist 21 Uhr und ich verzweifle. Aber ohne Kraft sieht meine Verzweiflung nahezu erbärmlich aus und versinkt in Trägheit. Zum Glück habe ich wundervolle Freunde. Schockiert vom elendigen Anblick, den ich gebe, bietet mir Ronja an, dass ich die Nacht in ihrem Wohnheimzimmer schlafen könne. Und so gehe ich als Erster um 22 Uhr von der Party (so fällt man wenigstens auf). Ich entscheide mich für den Schlaf. Es bringt nichts, wenn ich total übermüdet meine Reise antreten. Ich habe gemerkt, wie anstrengend die 4 Tage in England waren. Jetzt bin ich 4 Wochen unterwegs. Das ist ein Marathon, kein Sprint. Slow down you crazy child. Der non-stop Zug um acht Uhr nach Slowenien ist ohnehin die bessere Wahl!

An der Stelle noch mal ein Danke für die Matratze! Und an all die, zu denen ich heute Tschüss gesagt habe, möchte ich hier noch eines meiner Lieblingszitate erwähnen:

„It’s time to say goodbye, but I think goodbyes are sad and I’d much rather say hello. Hello to a new adventure.“ ~ Ernie Harwell

Samstag, 1. Oktober 2022 – Es geht los

Deutschland

Pünktlich um 7 Uhr stehe ich auf. Ganz ohne Wecker. Die Vorfreude weckt mich. Ganz leise und behutsam verlasse ich die Wohnung, um meine 2 Gastgeber nicht zu wecken. Bei Schlaf hört die Freundschaft auf.

8 Uhr Frankfurt Hauptbahnhof. Ein Junkie setzt sich den nächsten Schuss, ein anderer rempelt jeden Zweiten an und noch ein anderer schläft am Boden. Mein geliebtes Frankfurt verabschiedet sich standesgemäß. Ich werde den Frankfurter Hauptbahnhof nicht vermissen.

Mein Zug geht ohne Umsteigen nach Slowenien. Ich bin verwirrt, denn überall steht, dass der Zug nach Klagenfurt fährt. Was ich wissen muss, ist, dass der Zug in Villach in Österreich geteilt wird und dort als EC 213 nach Zagreb weiterfährt. Aber wie gesagt, das muss ich wissen. Es steht nirgends. Ein jeder Eurocity muss einen landestypischen Namen haben. Und so heißt der EC 113 nach Klagenfurt noch Blauer Enzian und ab Villach Mimara – benannt nach dem kroatischen Maler.

Der Zug soll laut der DB App eine sehr hohe Auslastung haben. Zum Glück kann ich einen Sitzplatz in einem 6er-Abteil ergattern. Bei 9,5 Stunden Zugfahrt auch eine absolute Notwendigkeit. Selbst wenn ein 6er Abteil auch nicht ideal ist. In Stuttgart kommt die Ernüchterung. Mein Sitzplatz ist ab hier reserviert. Ich stehe in einem mittlerweile überfüllten und verspäteten Zug. Wenigstens stehe ich am Fenster und kann die schöne Natur des Schwabenlandes genießen. Für solche Blicke liebe ich das Reisen mit dem Zug.

Seit dem letzten Halt echauffiert sich durchgehend ein junger Mannheimer über die Bahn. Die typischen Floskeln über die deutsche Bahn fallen rücksichtslos. Der Schaffner ist die Ruhe selbst und antwortet freundlich und ruhig auf alle seine Punkte. Wenn man keine Sitzplatzreservierung hat, darf man auch nicht erwarten, dass man einen Sitzplatz bekommt. Der Grund, warum der Zug so voll ist, ist ganz einfach. Er hält in München. Massen an betrunkenen Lederhosen und betrunkenen Dirndls sind auf dem Weg zum Oktoberfest. Ab München kann ich wieder in einem 6er-Abteil sitzen. Wieder am Fenster. Jetzt wird die Landschaft erst so richtig schön.

Meine Mitreisenden sind ein älterer deutscher Herr, der standesgemäß sein Leberkäsbrötchen und sein Dosenbier auspackt, und ein asiatisches Ehepaar, was das Konzept deutscher Züge anscheinend nicht ganz so verstanden hat. Der Rest des Abteils schaut hinab auf das Handy und ich klebe an der Scheibe und genieße die wunderschöne Aussicht.

Österreich

Mitten in den mystisch grau vernebelten Alpen fühle ich mich klein, so imposant ist dieser Anblick. Aber das mystische Grau wird immer wieder durch die bunte Natur durchbrochen.

Allein für diese Fahrt hat sich alles gelohnt. Das ist das, wofür ich lebe. Hier gehöre ich hin. Mitten in die Natur, auf einer Reise, dessen Ziel niemand kennt. Der Gedanke allein, bald selbst in der Natur zu stehen und nicht nur durch sie zu fahren, ist ein so unendlich schöner Gedanke. Aber vielleicht bin ich auch nur so fasziniert, weil ich noch nie wirklich eine Alpenreise hatte. Ich werde es bald nachholen!

Während der Zugfahrt erlebe ich die wunderschöne Metamorphose der Wiesenlandschaft hin zur Waldlandschaft. Ich sehe regelmäßig Kühe und Esel in der freien Natur. Ich rausche zwar an ihnen vorbei, aber trotzdem glaube ich, dass sie mich anlächeln.

Kleiner Sehnsuchtsbummler
Meine Bestimmung
Die Sicht, wenn man nicht auf sein Smartphone schauen würde

Slowenien

In Jesenice wird zwischen Zuggleisen und Fußwegen nicht mehr unterschieden. Die Architektur ist härter, kantiger und grauer. Ich bin auf dem Balkan. Die Region Europas, die am Häufigsten unterschätz wird. Ich liebe ihn.

Balkanliebe

ich liebe Sonnenuntergänge von ganzem Herzen. Einen Sonnenuntergang im Zug am ersten Tag zu erleben ist der perfekte Start für mein Soloabenteuer.

Ende und Anfang

In Lesce angekommen, habe ich zwei Möglichkeiten, um zu meinem Hostel zu gelangen. Ich könnte mit dem Bus fahren, so wie die anderen 20 Backpacker oder eine Stunde laufen. Natürlich laufe ich.

Das erste Bild der Reise auf meiner richtigen Kamera

Nach dem ganzen langen Sitzen tut das Laufen gut. Die phänomenale Landschaft hilft auch. Ich bin eingekesselt von Bergen. Nicht auf eine schlechte Art und Weise. Es ist eine majestätische Schönheit, die mich umgibt. Ich fühle mich frei. Die Laune geht aufwärts. Meine Kondition bei Steigung abwärts. Die Berge sind so majestätisch schön, dass ich fast meinen könnte, ich stehe vor dem Olymp.

Weggeschichten
Mein Olymp

In der Dämmerung setze ich mich auf eine Bank, esse zu Abend und genieße die Schönheit der Berge. Den Bleder See meide ich bewusst, damit ich morgen überrascht werden kann. Dafür laufe ich auf einer unbeleuchteten Straße in kompletter Dunkelheit. Das einzige Licht: die Scheinwerfer der passierenden Autos und die Lichter der Grabeskerzen vom Friedhof auf der anderen Straßenseite.

Ich erreiche mein Hostel. Es wirkt unfassbar dubios. An einem Tor hängt ein Zettel aus Papier mit dem Namen des Hostels. In einem Hinterhof sitzen zwei rauchende Menschen, die den Check-in darstellen. Durch einen kleinen Gang komme ich in einen anderen Hinterhof, wo das Haus der Zimmer ist. Das Bett muss erst noch bezogen werden, das Personal ist sich nur unsicher, welches Bett ich bekomme und entscheidet sich einfach für das nächste freie Bett. Meine Zimmergenossen sind drei junge Herren aus Frankreich, die sogar englisch können. Sie verlassen mich schnell und genießen das Nachtleben der Stadt, die zur Hälfte aus Backpackern besteht.

Ich will duschen gehen. Es gibt zwei Duschen für die Etage. Die eine ist belegt und bei der anderen funktioniert das Licht nicht. Ich bin müde. Ich dusche im Dunkeln. Die Handytaschenlampe sorgt für etwas Dämmerung.

Im Bett plane ich die nächsten 2 Tage und stelle fest, dass ich nicht viel vorher geplant habe, aber das, was ich geplant habe, sich auch schon wieder erledigt hat.

Kurz vorm Schlafen fange ich an nachzudenke, eine alte üble Gewohnheit von mir. Ich frage mich, ob ich es wirklich schaffe, alleine einen Monat durch Osteuropa zu reisen. Ob die Zweifel verschwinden werden? Ob ich es schaffen werden? Ich weiß es nicht.

Sonntag, 2. Oktober 2022 – Der schönste See Europas

Bled

Schlaf, wo bist du gewesen? Erst gab es einen nicht endenden Kampf zwischen ein paar Mücken und mir und dann kamen meine drei Zimmergenossen um halb vier von ihrer Partynacht zurück. Um 6 Uhr kräht der Hahn des Nachbarn. Bin ich müde? Nein! Ich strotze nur so vor morgendlicher Motivation. Jetzt geht es los!

Am Morgen sind die Straßen leer gefegt. Der Teil des Ortes ist ein Dorf und nicht eine der touristischsten Städte Sloweniens. Es dauert nicht lange und ich sehe ihn. Ein strahlend funkelndes Blau. So kräftig und doch so sanft. Schöner als der Ozean nach einem Sturm. Schöner als die schönsten blauen Augen in die sich ein Mensch verlieben könnte. Es ist das schönste Blau, das ich seit Langem gesehen habe. Das strahlende Blau des Bleders See ist der Grund, warum dieser kleine Ort zu einem Anziehungspunkt für Touristen wurde. Und der Tag hat gerade erst angefangen.

Schöner als das Blau der Augen deiner ersten großen Liebe

Das besonders Schöne ist dieser Kontrast aus strahlend blauem See, mystischen Bergen in der Ferne und Wald in direkter Nähe. Mit jedem Schritt, den ich mehr um den See laufe, verliebe ich mich mehr in Slowenien.

Kontrastreiche Schönheit

Nach einer Weile lichtet sich der kleine Wald um den See und ich stehe direkt am Ufer des Sees. Der See ist so ruhig, wie ein See sein kann. Das Wasser scheint still zu stehen. So wie die Zeit an dieser Oase der Ruhe. Ein paar kleine Boote stehen am Ufer, doch ich bleibe an Land.

Blau machen

Die Ruhe wird ein wenig gestört. Eine kleine Rudermeisterschaft findet heute auf dem See statt. Ich schaue mir das Spektakel kurz an, ehe ich mir das schönste Spektakel ansehe – die Natur.

Menschliches Spektakel

Um dieses Spektakel genießen zu können, geht es hoch hinaus. Von unten ist es schon wunderschön, wie schön wird es von oben sein? Der Weg ist lang und steil. Der Weg geht durch den Wald. Er ist entweder steinig oder vermatscht. Ich stolpere, bleibe fast stecken und werde dreckig. Bei jedem Schritt muss ich aufpassen nicht hinzufallen und mich zu verletzen. Belohnt werde ich dennoch. Das Risiko ist es wert.

Natürliche Schönheit
Schönes Risiko

Mittlerweile bin ich erschöpft. Doch die Freude und Motivation über meine Reise beflügelt mich so sehr, dass ich ganz leicht nach oben schwebe – egal wie viele Treppenstufen es sein mögen.

Zum Glück bin ich schwindelfrei

Freiheit. Das ist das, was ich spüre. Der Ausblick ist so schön, das schaffe ich gar nicht in Worte zu fassen. Der Blick streift in die unendliche Ferne. Hier oben fühle ich mich frei. Und Freiheit ist das Schönste aller Gefühle.

Freiheit

Auf den Bergen ist Freiheit! Der Hauch der Grüfte
Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte;
Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.

Friedrich Schiller

Ich bleibe lange hier oben. Sehr lange, denn warum sollte ich diesen schönen Ort verlassen? Aber wer weiß, was für schöne Orte ich noch in den nächsten Wochen sehen werde.

Unten angekommen, merke ich, dass dieser See auch hier wunderschön ist. Mittlerweile werden die Menschen auf den Straßen immer mehr und Unruhe kommt in die Stadt. Der See bleibt weiter wie ein Fels in der Brandung ruhig.

Ruhe.
Gelassenheit.
Zufriedenheit.

Am frühen Nachmittag habe ich es geschafft. Der See ist umrundet. In Bled schlendere ich etwas an der „Promenade“. Ich genieße die Sonne, die leicht auf mich hinabstrahlt. Ich genieße den See. Die Ruhe und die Hektik der Bootsfahrenden. Ich denke ein bisschen zu viel über die nächsten Tage nach und ehe noch mehr Zweifel kommen, versuche ich meine vielen Gedanken im See zu ertränken.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ursprünglich wollte ich mit dem Bus nach Bohinj zu einem weiteren See fahren. Ich entdecke aber die Werbung von einem kleinen Ausflugsunternehmen mit Touren zur Vintgar Schlucht. Die Plakate wirken so schön, dass ich meine Pläne komplett ändere und jetzt dorthin fahre. Den See kann ich auch morgen sehen. Ich reise allein. Ich kann spontan sein. Und das ist gut so.

Vintgar Klamm

Die Busfahrt zur Schlucht dauert wenige Minuten. Beim Fahrstil des Busfahrers ist das Abenteuer genug. Die Geschwindigkeit ist immer mehr als das, was die kleinen kurvigen Straßen Sloweniens erlauben.

Das wahre Abenteuer beginnt in der Schlucht. Das Wasser strömt rasant durch diese Perle der Natur. Der Extra-Ausflug hat sich schon nach wenigen Metern gelohnt. Die Frische, die die feinen Wassertropfen in der Schlucht verteilen, ist eine ganz Besondere. Und selbst wenn ich auf künstlichen Holzwegen wandere, so fühlt sich die Natur doch so rau und unberührt an.

Abenteuerurlaub

Ein Wasserfall jagt den Nächsten. Die Wege sind nass und ich versuche nicht auszurutschen. Das Profil meiner Schuhe könnte etwas schärfer sein. Das Spiel vom Vormittag wiederholt sich und meine Angst auch.

Das Ende des Weges liegt im Wald. Ich bin ganz alleine und außer ein paar Vögeln und der Ruhe der Natur höre ich nichts. Es ist einfach ein schöner Anblick zu sehen, wie die Sonnenstrahlen versuchen, ihren Weg durch die Bäume zu finden. Slowenien ist eine Oase der Ruhe und der Natur. Ein Traum!

Slowenische Träume

Mein Weg endet auf einer „Alm“. Kuhglocken und ein lautes Muhen begrüßen meine Ankunft. Die Aussicht ist herrlich! Alles ist grün und friedlich. Die Kühe grasen ein wenig und scheinen komplett unbeeindruckt von mir zu sein.

Muh!
Bergfreiheit

Nach einer abenteuerlichen Busfahrt lande ich wieder in Bled. Die drei Franzosen haben das Hostel verlassen. Ich dusche im Licht der Taschenlampe und ziehe mich in mein Bett zurück. Es ist an der Zeit den Montag (ja übermorgen) und den Dienstag zu planen. Wobei ich eine Sache schon auf dieser Reise gelernt habe: Planen ist wichtig und zugleich überbewertet. Meine Zimmernachbarn sind heute wesentlich ruhiger als gestern. Um halb 9 herrscht Stille und um 9 Uhr brennt nur noch meine kleine Lampe am Bett. Ich fühle mich etwas schlecht, dass ich noch tippe.

Montag, 3. Oktober 2022 – Zwischen Nebel und Sonnenuntergang

Eine Kombination aus Mücken und einem krähenden Hahn gab es auch in dieser Nacht. Mückenstiche bedecken meinen ganzen Arm. Mein Schlaf war zum Glück wenigstens ruhig und fest. Einen Wecker brauche ich auch heute Morgen nicht. Als ich um zwanzig vor acht das Zimmer verlasse, fühle ich mich fast etwas schlecht. Ich bin zwar so leise wie möglich unterwegs, aber ein paar Geräusche entstehen leider immer.

Im Bus sitze ich fast alleine. Wer ist bitte auch schon so früh unterwegs? Der Bus wird übrigens von einer der zahlreichen Unterfirmen der Deutschen Bahn betrieben.

Die Natur ist so schön, so einzigartig, so rustikal und so natürlich. Die Dörfer sind etwas älter, eins mit der Natur, bestehen ja fast nur aus Holz und Zäune gibt es hier nicht. Die Sonne strahlt auf das vom Morgentau leicht feuchte saftig grüne Gras. An einem Fluss wird die Natur atemberaubend mystisch. Es wird nebliger. Und die grauen Schleier verdecken die Sonne. Ein paar Spitzen des Lichts durchbrechen den düsteren Dunst und erhellen diese Zauberwelten.

Bohinj

In Bohinj endet meine Abenteuerreise durch diese schöne Gegend. Aber das heißt nicht, dass es jetzt weniger schön wird. Schon aus der Ferne kann ich erahnen, wie schön die nächste Zeit wird. Ich sehe wieder einen See. Heute nicht strahlend blau, sondern mystisch schleierhaft. Ich spüre den anstehenden Herbst. Der See ist menschenleer und ich entdecke eine wunderschöne Bank.

Herbstmorgen
Der Herbst kommt so langsam zum Vorschein
Zeit für mich

“The happiest man is he who learns from nature the lesson of worship”

Ralph Waldo Emerson
Slowenien, so wie es ist
Und tschüss

Und dann geht es für mich zurück nach Bled. Diesmal direkt zum Bahnhof. Die Fahrt ist eine wunderschöne Reise, die sich kaum in Worte fassen lässt. Der Busfahrer findet dennoch genügend Wörter. Er telefoniert. Das gehört sich so auf dem Balkan.

Am Bahnsteig finde ich keinerlei Info, von welchem Gleis mein Zug demnächst fährt. Aber zum Glück hat der Bahnhof nur 2 Bahnsteige und auf dem Balkan gehen die Menschen grundsätzlich so über die Gleise. Der Zugverkehr hält sich sehr in Grenzen. Bis der Zug kommt sitze ich in der Sonne und genieße mein Mittagessen – trockenes Brot.

Wo will ich eigentlich hin? Die Reise soll eine Balkan- und Osteuropareise werden, einen kleinen Abstecher in mein Sehnsuchtsland Italien kann ich mir aber nicht nehmen lassen. Selbst wenn dieser kleine Abstecher nur nach Triest geht.

Ljubljana

Im Zug nach Ljubljana, wo ich umsteigen muss, genieße ich die Schönheit Sloweniens. Alles ist so schön grün und so natürlich. Und wir haben zwar Oktober, aber in der Sonne am Fenster komme ich fast in Schwitzen. Im Zug sehe ich wieder viele junge Menschen mit ganz großen Rücksäcken. Interrail ist eine fantastische Erfindung! Meine Liebe für den Balkan entflammt sich immer weiter. So liebe ich es einfach, dass die Menschen an Bahnhöfen wie Skofja Loka direkt auf den Gleisen aussteigen.

In Ljubljana habe ich zwar eine halbe Stunde Umsteigezeit, aber ich verlasse bewusst den Bahnhof nicht, damit ich mir nichts von dieser Stadt vorweg nehme. Die ist in ein paar Tagen an der Reihe. Außerdem bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich eine halbe Stunde Umsteigezeit habe. Meine Interrail-App sagt zwar, dass die Abfahrt um 14:20 Uhr ist, die Anzeigetafel sagt, dass die Abfahrtszeit um 14:12 Uhr ist. Die schiere Menge an großen Rucksäcken sagt aber zumindest, dass ich am richtigen Gleis bin.

Im Zug sitze ich wieder in einem 6er-Abteil. Meine Mitreisenden tragen nur leider den Duft eines ganzen Bauernhofes in sich. Aber auch das gehört zu so einer Reise.

Die Landschaft ist immer noch wunderschön. Es wird grüner und flacher. Diese Wandlungsfähigkeit macht alles schöner. Mittlerweile existiert nur noch die Natur und ab und an ein Bauernhof. Eigentlich wollte ich nach meinem Staatsexamen wieder mehr lesen. Aber bei einer so schönen Aussicht kann ich meine Augen vom Fenster gar nicht lösen.

Italien – Triest

Mittlerweile wird die Landschaft wieder etwas gebirgiger und steiniger. Ich merke, wir nähern uns Italien. Am ersten italienischen Bahnhof wird der italienische Flair sofort sichtbar. Die Adria ist nah, ich höre das Meer rufen. Es ist warm und trocken. Die Menschen ändern sich. Es ist eine vollkommen neue Welt. Der italienische Schaffner hat natürlich direkt mehr Stil. Anzug und Sonnenbrille sind in Italien ein muss.

Und dann schweift mein Blick ganz kurz nach links. Und dort sehe ich es. Das mare nostrum. Die Sonne steht hoch über dem Meer und strahlt so schön, dass das Meer ewie ein Diamant schimmert. Immer wieder verdecken Bäume kurz das Schauspiel, doch die große weite Freiheit der Ferne findet immer wieder ihren Weg zu mir.

Ein Frachter ist auf der See, ich frage mich, wohin er geht, woher er kommt, wie lange er unterwegs ist und wie lange er es noch sein wird. Für mich ist ein Monat schon eine lange Zeit, aber wer weiß, wie lange die Männer und Frauen auf dem Schiff schon auf See sind?

Aber nicht nur der Blick nach links lohnt sich. So sind die Häuser zur Rechten am Hang so italienisch, wie es nur geht! Die Zugfahrt ist perfekt.

In Triest wollte ich ursprünglich extra schnell ins Hostel, um mir morgen nicht zu verderben. Aber irgendwie will ich das jetzt nicht mehr. Bei der Sonne über der Adria überlege ich es mir anders und gehe noch mal raus, um den Sonnenuntergang zu sehen.

Bevor ich meine Erlösung suchen kann, will ich im Hostel einchecken. Der Weg dahin ist gewöhnungsbedürftig. Nach dem kleinen slowenischen Dorf bin ich jetzt in der italienischen Großstadt. Das Hostel ist groß, gut organisiert und nicht sehr dubios. Da weiß ich, dass ich direkt besser schlafen werde. Die Tatsache, dass ich mir ein Schloss für die Schließfächer kaufen kann, was ich vergessen hatte mitzunehmen, lässt mich auch etwas ruhiger schlafen. Wobei von Schlaf jetzt noch keine Rede ist. Das Duschen ist erneut schwierig. Bei der Dusche im Zimmer steht, dass sie ungeeignet ist (ebenerdig und Mini-Abfluss), man solle doch die Dusche im Bad der Etage nutzen. Diese ist aber gerade außer Betrieb, man solle daher doch bitte die Dusche im Zimmer nutzen. Ich gehe eine Etage nach unten zum Duschen. Erfrischt geht es endlich zu meiner großen Liebe. Es ist so schön, das kann selbst ich nicht in Worte fassen. Diese elysisch traumschöne Metamorphose von diamantweißen Strahlen der Sonne bis hin zum prunkvollen Gold des Abends. Wörter können das Glück in mir gar nicht beschreiben! Seht einfach selbst!

„Es ist fast unmöglich, einen Sonnenuntergang zu beobachten und nicht zu träumen“ – Bernard Williams
Der perfekte Sonnenuntergang
„Du weißt doch, wenn man recht traurig ist, liebt man Sonnenuntergänge.“ – der kleine Prinz
Wenn du eigentlich schon am gehen bist, dich dann aber doch noch einmal umdrehst und dann das perfekte Foto knippst

Nachdem ich eben den Weg ins Paradis gefunden habe, geht es für mich zurück ins Hostel. Meine Ruhe wird nur kurz gestört, als es unter mir zu einer kleinen Diskussion kommt. Die Person im Hochbett unter mir hat sich wohl in der Bettnummer geirrt und das führt zu Verwirrungen. Aber auch das kann sich klären und so kann der ältere Herr jetzt auch im richtigen Bett schlafen. Danach ist es recht ruhig in meinem Zimmer. Das Zimmer nebenan veranstaltet – zumindest akustisch – ein Wrestling Turnier. Im 12-Bett-Zimmer werden zum ersten Mal meine Ohropax genutzt. Essentiell für eine solche Reise.

Dienstag, 4. Oktober 2022 – Triest und die beste Pizza meines Lebens

Triest

Wenn Gäste eine Sache in Hostels lernen, dann Rücksicht. Ich bin Frühaufsteher. Die meisten jungen Menschen nicht. Aus Rücksicht verlasse ich meist erst gegen 9 das Zimmer. Für viele Menschen ist das schon früh genug. Aber carpe diem!

Beim buongiorno auf dem Flur wird mir bewusst, dass ich ja sogar ein bisschen italienisch kann. Nach dem Staatsexamen habe ich endlich wieder Zeit meiner Affäre – der klangschönen italienischen Sprache – nachzugehen. Affäre, weil ich fest mit der Schönheit der deutschen Sprache verheiratet bin.

Die Straße ist überfüllt mit Vespe (das ist der korrekte Plural von Vespa). Es wird gehupt. Ich werde beinahe angefahren. Es ist laut. Ich bin in Italien! Begeistert bin ich von den Sirenen der Krankenwagen. Die klingen so lautmalerisch.

Und die Italiener erfühlen so manches Klischee. Die italienische Lebensweise ist nun einmal eine ganz besondere und spezielle. Die Stadtreise durch Triest beginnt am Canal Grande der Stadt. Ich habe gestern mein Herz an Italien verloren. Mit jedem weiteren Schritt stürzt mein Herz tiefer in die unendliche Weite des Kosmos. So geht es nicht nur mir. So hat der berühmte irische Schriftsteller James Joyce einst so passend geschrieben: „My soul is in Trieste.„.

„Der längste Umweg ist der kürzeste nach Hause.“ – Ulysses

Für die Stadt habe ich keine Route geplant. Ich lasse mich treiben. Mich zieht alles in der Stadt an, aber ich finde meinen Weg. Am Ende des Canal Grande steht natürlich eine Kirche. Wobei diese nicht katholisch, sondern orthodox ist.

Amen

Mein Irrweg führt mich zur ehemaligen Börse. Architektur können die Italiener fast so gut wie Regierungskrisen. Ein Bauwerk ist schöner als das andere. Ein wahrer Prunkbau!

Besser als jede Regierungskrise

Das nächste Meisterwerk ist der Piazza Unità d’Italia. Die herrschaftliche Architektur ist einzigartig und italienischer Standard zugleich. Italien hat nicht ohne Grund die meisten UNESCO-Welterbestätten.

Grauer
Alltag

Plötzlich wird mir klar, wie vielseitig und abwechslungsreich diese Reise ist. Von Zügen, Seen, Bergen, Meer und Kunst habe ich alles erlebt. Und das in nicht einmal einer Woche! Genau das liebe ich so am Reisen, die unnachgiebige Flut an neuen Erlebnissen und Erfahrungen.

Das Besondere an Triest ist, dass es nicht immer zu Italien gehörte. Lange regierten die Habsburger und ihre Macht ist bis heute nicht ganz verschwunden. Einzelne Denkmäler erinnern an die Vergangenheit. Besonders erwähnenswert ist das von Kaiser Maximilian. Kaiser von Mexiko.

Mein Lieblingsnamensvetter

Triest war dabei für die k.u.k.-Monarchie besonders wichtig, da es der Meerzugang des Kaiserreichs war. Der Triester Hafen war einst das Tor zur Welt, Tor zum Handel und Tor zur Macht.

Der Schlüssel zur Macht

Nach dem Hafen mache ich mich auf den Weg zur Kathedrale und zum Kastell der Stadt. Ich lasse mich treiben und gelange in kleine Gassen, die noch kein Tourist zuvor gesehen hat. Ich treibe sehr lange durch diese Gassen.

Italienisches Stillleben

Die Ursprünge des Kastells gehen überraschenderweise mal nicht auf die Römer zurück, sondern nur bis ins 15. Jahrhundert. Italien ist mehr als nur Rom. Kultur hat das Land im Überfluss.

Überfluss

Die Kathedrale in der unmittelbaren Umgebung steht auf dem Fundament der römischen Basilika. Ganz ohne Rom geht es doch nicht. Die Mosaike sind sehr sehenswert. Den Einfluss der Habsburger sehe ich auch wieder. Ein einziger melting pot dieses Triest!

Spätromische Kunstgeschichte

Natürlich bringt jede Handelsstadt eine große Anzahl an Kaufleuten hervor. Das Geld der Kaufleute muss aber auch ausgegeben werden. Ein beliebtes Hobby der Kaufleute war das Sammeln archäologischer Artefakte. Und so lag ein großer Teil der Geschichte Italiens für Jahrhunderte in Schubladen. Indiana Jones wäre außer sich gewesen. Dieses historische Erbe ist zum Glück im Laufe der Jahrzehnte immer weiter zurück in die Öffentlichkeit gelangt. Das Museum für Stadtgeschichte zeigt eine unermessliche Sammlung an archäologischen Artefakten, von denen der größte Teil ursprünglich aus Privatbesitz stammt. Benannt ist das Museum nach dem bedeutenden deutschen Archäologen Johann Joachim Winckelmann. Und das Beste ist, dass das Museum kostenfrei ist. Diese Menge an historischen Alltagsgegenständen ist für mich etwas ganz Besonderes. Vor 2000 Jahren war es Alltag oder billiger Kram. Neben den römischen Artefakten gibt es noch viel mehr zu entdecken. Unter anderem ganz viele Mumien. Und anders als beim British Museum in London sind die Räume leer und laden zum Studieren ein.

Ein Tag im Leben eines Archäologen

Nach meinem glückserfüllten Ausflug in die Archäologie durchstreife ich weiter Triest. Genieße kleine Gassen. Und lasse das Glück auf mich einprasseln.

Hinterhöfe in Triest

Was wäre Italien ohne die italienische Kirche? Ich bin kein großer Kirchenfan. Aber die Kirche ist leer und mit dem Ave Maria des Kirchenchors im Hintergrund hat der Ort etwas beruhigendes, ja transzendentes. Für Momente wie diese habe ich extra keine Uhr an, damit ich schweben kann.

Was braucht eine jede italienische Stadt? Ein römisches Amphitheater!

Panem et circenses

Über den Canale Grande geht es für mich zum Bahnhof. Nein, ich möchte Triest nicht verlassen. Ich möchte die Vororte der Stadt erkunden. Die Sorgen und Gedanken der ersten Tage sind verflogen. Ich weiß nicht, ob die Sorgenfreiheit an Italien liegt, dem gestrigen Sonnenuntergang oder einfach nur an der Tatsache, dass mein Schrank im Hostel jetzt ein Schloss hat. Aber solange ich glücklich bin, ist mir die Ursache des Glücks auch egal. Wer sein Glück gefunden hat, kann aufhören zu suchen.

Sorgenfreiheit

Im Zug nach Visogliano, der eigentlich nach Venedig geht, frage ich mich, ob ich nicht meinen ursprünglichen Plan komplett verwerfen soll und nach Venedig weiter fahren soll. Da meine Sachen aber noch im Hostel sind, werden meine Gedankenspiele ausgebremst. Und außerdem habe ich meinen Freunden versprochen, sie in Split zu besuchen. Lust hätte ich aber!

Der Bahnhof Sistianas wirkt so, als hätte diesen Ort noch kein Tourist in seinem Leben gesehen. Zum Glück will ich nicht in das Dorf, sondern an die schönen Klippen. Der ganze Ort wirkt hell, steinig und staubig. Ich vergesse, dass wir gerade Oktober haben.

Nach guten 20 Minuten erreiche ich die Klippen. Für mich sind Klippen ein Symbol der Freiheit. Und Freiheit ist Glück. Die Klippen erinnern mich fast ein wenig an die Klippen der Freiheit in der Normandie. Aber auch nur fast. Sie sind steiniger und nicht durch ein sanftes Grün bedeckt.

Kräftig grüne Freiheit

Nicht nur die Klippen sind sehenswert. Das Meer ist es auch. Die kleinen bunten Segelboote auf der grauen tristen See sind ein Kunstwerk.

Kunst

Der Weg entlang der Klippe ist alles andere als leicht. Er ist sehr steinig, steil und an manchen Stellen nicht wirklich existent. Ich habe erneut Angst um meine Knöchel.

Dieser Weg wird kein leichter sein

Nach einer Weile finde ich einen alten Bunker. Die Normandie erscheint wieder vor meinem inneren Auge. Ich klettere in das Dunkel hinab und bahne mir mit meiner Handy-Taschenlampe den Weg. Es sind nur wenige Meter und dann finde ich den Ausgang Richtung Klippe. Ich kann meinen Augen kaum trauen. Der Ausblick ist wirklich atemberaubend. Das Meer, die Klippen und dann noch in der Ferne das Schloss Belvedere.

Auf dem Weg zur Freiheit
Atemberaubende Freiheit

Bevor ich mich auf den Rückweg mache, erkunde ich mich über meine Bahnverbindung und stehe vor einem Dilemma. Ich kann entweder 2,5 Stunden warten oder einen 35 Minuten Weg in 30 Minuten zurücklegen. Es ist ein ewiges Hin und Her in mir. Eigentlich will ich mich nicht stressen, aber die Zeit drängt. Mal sprinte ich und dann denke ich mir, ist doch auch egal, ich esse jetzt erst einmal. Aber um 3 Uhr finde ich in diesem Dorf natürlich nichts. Also beeile ich wieder. Dann bremse ich wieder ab. Und dann eile ich wieder. Außer Atem erreiche ich rechtzeitig den Bahnhof. Es geht nach Miramare. Einem kleinen Dorf mit einem malerischen Bahnhof.

Märchenbahnhof

Der Weg zum Schloss verläuft zunächst durch einen Wald. Es ist vollkommen ruhig und still. Das Märchenschloss ist ein weiteres Überbleibsel der Habsburger Zeit. So klein, so abgelegen an der Adria, es fühlt sich wie im Märchen an. Der Garten ist bunt und vollkommen. Wald, Blumen und Meer. Ein kleines Paradies für den Ungläubigen. Ein italienisches Eis wäre perfekt. Bei den Preisen des kleinen Cafés vergeht mir aber das Verlangen.

Märchenhaftes Italien
Buntes Italien

Zurück laufe ich am Strand der italienischen Adria. Ich entdecke einen „Nett hier, aber waren sie mal in Baden-Württemberg“-Aufkleber und muss lachen. Nichts kommt an diesen Flair und das Lebensgefühl heran. Italienisch klingt wie Musik in meinen Ohren und mein Wunsch nach einer heißen Affäre mit dieser Sprache wird immer größer.

La dolce vita

Bei der Fahrt nach Triest werde ich wieder Zeuge der goldenen Metamorphose des Meeres. Ich beschließe wieder den Sonnenuntergang am gleichen Ort wie gestern zu genießen. Aber zuerst ein Eis. Ich bin schließlich in Italien. Ich habe aber Pech. Erst finde ich nirgendwo ein Ort zum Eis kaufen und das, was ich finde, schmeckt nach nichts und Pappmasché Waffel. Ich muss weiter suchen.

Der Sonnenuntergang ist wie immer hinreisend, selbst wenn er nicht ganz so perfekt wie gestern ist. Aber das ändert nichts an meiner Liebe für das goldene Himmelsfeuerwerk.

In der Dunkelheit habe ich Zeit einen Lebenstraum von mir in Erfüllung gehen zu lassen. Pizza in Italien. Ich bin zwar etwas schockiert, dass man in ITALIEN! nicht weiß, was Lambrusco ist, aber dann nehme ich eben Wasser. Ist ohnehin gesünder. Die Pizza mit Büffel Mozzarella ist die beste Pizza, die ich in meinem ganzen Leben je gegessen habe. Die Soße ist so fruchtig tomatig und der Mozzarella hat die beste Konsistenz, die ein Käse haben kann! Pizza ich komme wieder!

Um zehn Uhr herrscht in meinem Hostelzimmer Stille und Dunkelheit. Meine Nachbarn sehen das wieder anders.

Mittwoch, 5. Oktober 2022 – Die Höhle von Postojna

So schön Italien auch ist, es geht für mich zurück auf den Balkan. Slowenien wartet auf mich. Den Zug finde ich am Bahnhof sehr leicht. Wobei ich das Prinzip der gesonderten Einstiegs- und Ausstiegstüren faszinierend und verwirrend finde, wenn sich niemand daran hält. Ich fahre ein letztes Mal entlang der wunderschönen Küste, die am Morgen noch so ruhig und verborgen erscheint. Ich fühle mich im Zug pudelwohl. Ich habe mich an dieses Leben gewöhnt. Die Reise könnte noch ewig und drei Tage gehen.

Kurz vor der Grenze kommt der Zugbegleiter und erzählt kurz etwas. Mein italienisch ist noch zu begrenzt. Das Englische verstehe ich aufgrund seines Akzentes kaum, aber anscheinend muss ich in der Grenze den Zug wechseln und mit der slowenischen Bahn weiter fahren. Beide Züge sind pünktlich.

Postojna

Etwas später und ich bin in Postojna. Die Straßen sind leer und ruhig. Ich habe Zweifel, dass hier ein Tourismusmagnet sein soll. Ich beginne loszulaufen.

Die Züge der Vergangenheit

Bei den ganzen vernebelten Bergen in Slowenien bekomme ich immer wieder Lust auf einen Herr der Ringe Marathon. Die vernebelten Berge in der Ferne erinnern mich zu stark an Mittelerde.

Far over the misty mountains

Bei den Höhlen angekommen, entdecke ich das asiatische Ehepaar von Tag 1 aus dem Zug wieder. Wie klein diese Welt ist. Die Führungen durch die Höhle werden nach den verschiedenen Sprachen aufgeteilt. Die Schlange für die deutsche Führung ist die längste. Und ich weiß selbst, dass ich ein deutscher Tourist bin, aber die deutschen Touristen sind immer die Schlimmsten. Ich überlege kurz, ob ich in die englische Schlange gehen soll, stelle mich aber der Herausforderung.

Zunächst fahren wir mit dem Zug durch die Höhle. Das erinnert mich an meinen Lieblingsfilmhelden Indiana Jones und seine Abenteuer im zweiten Teil. Schnell fährt die Bahn zwar nicht, aber ich fühle mich trotzdem wie ein echter Abenteurer.

Nach der Fahrt gibt es eine kleine Wanderung durch die Höhle. Der Begriff Naturspektakel ist bei Weitem eine Untertreibung für diese Schönheit der Natur. Ich bin immer wieder fasziniert, welche Schönheit unsere Erde produzieren kann. Ich könnte jetzt versuchen, diese Schönheit in Worte zu fassen, ich würde scheitern. Ich lasse die Bilder für sich sprechen.

Mehr als 1000 Worte
So unfassbar imposant
Menschen werden zur Nebensache
Wie lange das gedauert haben muss!

Die Höhle ist auch die Heimat der Grottenolme. Diese Tiere leben natürlich in den dunklen Höhlen Sloweniens. Früher dachten die Menschen, es sind Drachenbabies. Leider hat sich diese These nie beweisen lassen. Die Tiere sind ein absolutes Kuriosum, so können sie bis zu 10 Jahre ohne Essen auskommen. Das schaffe ich leider noch nicht.

Die Tour durch die Höhle endet so wie es sich gehört im Souvenirshop. Ich kaufe mir keinen überteuerten Plüschgrottenolm und mache mich direkt auf den Weg. Wobei ich draußen noch kurz etwas esse. Das Brot vom Montag ist leider auch nicht mehr das frischeste. Auf dem Weg zum Adelsberg, der auch der deutsche Name von Postojna ist, wird mir erst so richtig bewusst wie versatil Slowenien ist: Berge, Seen, Wälder, Höhlen und Adria und das alles in einem so kleinen Land. Beim Weg auf die Spitze des Hügels wird mir aber auch klar, dass ich nach dem Urlaub wieder mehr Sport treiben sollte. Die Aussicht lohnt sich trotzdem!

Die Spitze des Hügels
Lohnende Aussicht

Auf dem Weg zum Supermarkt gehe ich durch ein Viertel, das so musterhaft für Ostblock-Architektur stehen, wie etwas für Ostblock-Architektur stehen kann. Das ist auch Slowenien.

Und dann der nächste Zug. Das Ziel: die kroatische Hauptstadt. Im Zug sitze ich etwas erschöpft, aber die Landschaft ist so schön wie immer. Aber da muss man einmal im Zug niesen und dann wird man vom Sitznachbarn auf slowenisch zugetextet. Mein „Ich kann aber nur deutsch und englisch“ wird ignoriert. Irgendwann gibt er auf. Die nette Geste bleibt bestehen.

Die Fahrt geht an einem rauen Fluss entlang durch die beginnende Dunkelheit. Der Himmel färbt sich rötlich und teilt sich. Der Aprikosenhimmel über der Schlucht des Dunkeln ist ein Sinnbild zwischen Gut und Böse. Bis das Schwarz der Berge obsiegt und nur ein violetter Schimmer der Hoffnung am Himmel verbleibt.

Zidani

In Zidani muss eine halbe Stunde am Bahnhof warten. Mittlerweile ist es auf dem Balkan auch fast ganz dunkel. Gruselig ist es nicht, ich fühle mich wohl und heimisch. Selbst wenn die durchrasenden Güterzüge extrem laut sind.

Heimat

Weniger schnell ist ein Baustellenzug unterwegs. Der fährt Schrittempo, damit aus dem Stellwerk ein Zettel für den Zug herab geworfen werden kann. Nach einer Weile kommt mein Zug. Es ist der Mimara vom ersten Tag!

Im Zug fällt mir auf, wie schön der Mond reflektiert. Mit einem leichten Schimmer. Das Mondlicht so klar, weiß und hell und doch so dunkel. Den Rest der Fahrt düse ich durch die Dunkelheit und denke einfach mal an gar nichts. Ein schönes Gefühl.

An der Grenze nach Kroatien gibt es Grenzkontrollen im Zug. Das kenne ich schon von meiner Zugfahrt nach Belarus vor fünf Jahren.

Zagreb

Hallo Kroatien!

Das Hostel in der Nähe des Zagreber Hauptbahnhofs macht einen guten ersten Eindruck. Das Bad könnte sauberer sein, aber es ist immernoch ein Hostel. Und der Name des Zimmers ist Maksimir. Damit kann ein Maximilian zumindest gut leben.

Donnerstag, 6. Oktober 2022 – Zagreb, Ernüchterung und Heimkehr

Zagreb

Der Schlaf war kurz, das Bett lang. Die Dusche tropfte die ganze Nacht. Von der Straße am offenen Fenster kam der Lärm. Mitten in der Nacht fiel mir das Handy vom Hochbett herunter. Die Vorzeichen stehen schlecht, aber heute wird ein guter Tag. Denn exakt eine Woche nach meiner letzten Prüfung treffe ich meine Freunde und Leidensgenossen aus dem Studium wieder.

Vor dem Bahnhof der Stadt thront Tomislav, der erste König der Kroaten. Hinter ihm steht eine kleine Grünanlage und das gelbleuchtende Kunstpavillon. Vor Tomislav steht eine Ansammlung irischer Sportlerinnen. So wie es sich für die Bewohnerinnen der Grünen Insel gehört, verbreiten sie gute Laune und singen und tanzen auf der Straße. Irinnen muss man einfach lieben.

Tomi sagt guten Morgen

Zagreb bietet eine schöne klassische Architektur. Es ist aber auch laut, voll, dreckig und manchmal verrußt. Aber dafür gibt’s immerhin freies W-LAN fast überall und etwas Grün.

Grünes Zagreb

Die eigentliche Altstadt ist überschaubar. Natürlich stehen Kathedrale und Mariendenkmal auch in Kroatien im Zentrum des Stadtbildes. Die Kathedrale wird momentan restauriert und lässt sich nicht von Innen besichtigen.

Josipa Jelačića Platz
Die Kathedrale

Ich habe viel Zeit, ich setze mich in den nächsten Park und gönne mir etwas Erholung. Die habe ich mir an Tag 6 verdient. Lange kann ich aber auch nicht nichts tun und mache mich auf zum mittelalterlichen Stadtkern.

Erholung

Der ganz alte Stadtkern ist nett, aber auch nichts weltbewegendes. Interessant ist nur die Kirche, die sich versteckt in einem Tor befindet. Kirche ist vielleicht auch etwas übertrieben. Es ist eigentlich nur ein Altar.

Die St.-Markus-Kirche in der Nähe hat dafür ein richtiges Dach und ist nicht nur eine Durchfahrt.

Nächster Halt Kirche
Wahre Dachdecker Kunst

Der ganze Hügel des historischen Stadtkerns ist schön. Ein Oldtimer am Straßenrand macht das Bild – wie in Rothenburg – perfekt. Es ist witzig, dass viele Straßen neben einem kroatischen Straßennamen noch einen deutschen Straßennamen haben. Die k.u.k.-Zeit hat auch in Zagreb ihre Spuren hinterlassen.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Wie eben schon erwähnt, handelt es sich bei dem Stadtkern um einen Hügel. Dementsprechend ist die Aussicht auf die Stadt natürlich auch eine gute. Der Rückweg nach „unten“ ist dafür umso steiler, voller Kopfsteinpflaster, und „rustikaler“.

Es geht abwärts
Modernste Schönheit

Meine Rundreise durch Zagreb wird kultureller und gelber. Das kroatische Schulmuseum und das kroatische Nationaltheater sind nicht nur schöne Orte, sondern auch sehr gelbe Orte. Sie bieten die Gelegenheit für eine kleine Sonnenpause.

Musik verbindet

Außerdem glaube ich, dass mich dieser Mimara verfolgt. So heißen nicht nur ständig Züge wie er, so gibt es auch noch das passende Museum von ihm hier in Zagreb.

Every breath you take
And every move you make
Every bond you break
Every step you take
I’ll be watching you

Ich schlendere durch die Stadt und entscheide mich lieber für eine Bank in der Sonne. Die Gehwege enden immer in Baustellen. Mein Weg zu der Bank in der Nähe von Tomislav verläuft durch ein unterirdisches Einkaufszentrum.

Als ich gemütlich in der Sonne sitze, werde ich dann von einem Amerikaner angesprochen. Er hat mein Abbey Road T-Shirt gesehen und wir unterhalten uns etwas über meine Liebe zu den Beatles, meine Magical Mystery Tour durch Liverpool, die Hamburger Reeperbahn, und wie es ist, über den berühmtesten Zebrastreifen der Musikgeschichte zu laufen. Und er bringt mir eine große Lebensweisheit mit auf den Weg.

„Egal wo auch immer du hingehst, du findest immer einen Deutschen. Die Deutschen sind immer die ersten an einem Ort.“

– eine alte amerikanische Weisheit

Er hat wohl recht mit seiner Weisheit. Schließlich hat er auch mich gefunden. Nach unserer Unterhaltung zieht er weiter und ich versinke wieder in meinen Gedanken. Welche Züge nehme ich als nächstes? Ich bin erst einmal für unbestimmte Zeit bei meinen Freunden, aber was kommt dann? Ich ertappe mich, wie ich der Sehnsucht für Italien verfalle. Das Land hat mein Herz erobert und ich habe es dort verloren. Aber ich wollte doch eigentlich weiter Richtung Osten. Eigentlich. Aber für Italien lodert es lichterloh in meinem Herzen. Die Sehnsucht und der Reiz sind so stark in mir, da kann ich nicht widerstehen. Rumänien hat eine wunderschöne Landschaft, aber leider ein ausbaufähiges Streckennetz und lange Strecken. Und ich stehe lieber in der Natur als sie aus dem Fenster zu fotografieren. Italien mag zwar die instabilsten Regierungen Europas haben, aber dafür mit das stabilste Bahnstreckennetz. Ursprünglich war auch mal nur Italien der Plan. Das war mir aber zu teuer und ich wollte Goethes Italienreise nachmachen. Aber warum eine Reise nachmachen, wenn ich meine eigene Reise gestalten kann? Ich habe zwar nur 4 T-Shirts und mehr Pullis mit, aber das würde ich sicher irgendwie schaffen. Ich wollte nach Venedig bereits durchbrettern. Das Schöne an dieser Reise ist, dass nichts geplant ist und ich niemanden was schuldig bin und einfach meinem Herzen folgen kann. Also auf nach Italien! Ich weiß zwar noch nicht, was ich mir genau in Italien anschauen möchte und wie ich von Split dorthin komme, aber ich habe jetzt auch keine Lust mehr, mir ewig Gedanken zu machen, ich will einfach was machen und erleben und nicht meine Zeit mit Gedanken verschwenden.

Zum Glück ist es jetzt an der Zeit, mich Richtung Bahnhof zu bewegen. Dort bin ich verwirrt. Es gibt zweimal das Gleis 4. Einmal 4.1 und einmal 4.2. Für den Zug benötige ich eine Sitzplatzreservierung. Wobei dies mehr eine Empfehlung zu sein scheint. So ist mein Platz schon belegt und wird erst nach Umsetzen frei und danach fragt mich jemand, ob der Platz neben mir frei sei. Aber ich sitze und das ist die Hauptsache.

Im Zug

Mit der Klimaanlage im Zug ist es eiskalt und ich fange an zu frieren. Die Zugstrecke selbst geht durch abgelegene Dörfer und Landschaften, die den Balkan so perfekt darstellen, wie es nur geht.

Balkanliebe

Auf der Straße fährt ein alter Opel, der mehr schwarzen Rauch aus dem Auspuff gibt als bei einer gescheiterten Papstwahl aus der Sixtinischen Kapelle herauskommt. Die Geschwindigkeit des Zuges hält sich in Grenzen. Die „Bahnhöfe“ der Strecke sind sehr interessant. Interessant ist auch, dass an jedem „Bahnhof“, sei er noch so klein, ein Schaffner steht und nach dem Zug Ausschau hält.

Immer noch schöner als der Frankfurter Hauptbahnhof

Meine Planungen für den weiteren Verlauf der Reise werden erschüttert. So bekomme ich unerwartet eine Absage für die bereits zugesicherte Stelle meiner zweiten Hälfte meines praktischen Jahres im Mai. Mein erster Rückschlag der Reise hat nichts mit der Reise zu tun. Ein herber Rückschlag ist es dennoch. Ich muss morgen erst einmal neue Bewerbungen schreiben und dann schauen wir mal, wie es weiter geht. Am Ende muss die Reise wegen Bewerbungsgesprächen noch früher enden, was für eine scheiße! Ich bin so aufgewühlt, dass ich es kaum schaffe, die Landschaft zu genießen oder an meine Reise überhaupt zu denken. In mir breitet sich auch eine Verzweiflung aus. So bin ich in diesem Zug ohne WLAN und kaum Empfang gefangen und machtlos. Der Gedanke an meine Freunde hilft etwas.

Der Sonnenuntergang über den rötlichen Baumspitzen spendet zumindest etwas Trost. Aber gegen halb Sieben zaubern die Wolken ein Kunstwerk, das seines Gleichen sucht. Der Himmel scheint so bittersüß rot. Und dann fahren wir noch an einem See vorbei, indem sich die Wolken so traumhaft spiegeln. Bei diesem blutorangenen Himmel vergesse ich fast die Zeit und meine Sorgen.

Befreiung

In der Dunkelheit kommen die Gedanken wieder. Die Frage nach dem Praktischen Jahr ist auch die Frage danach, was ich eigentlich in der Zukunft will. Am liebsten würde ich genau das hier ewig weitermachen. Das ist nur leider nicht ganz so realistisch. Und Pharmazie ist ohne Frage auch eine sinnstiftende und erfüllende Tätigkeit.

Im Zug wird es jetzt fast sogar heiß, aber der Schaffner öffnet schon die ersten Fenster und es wird eiskalt. Draußen herrscht derweil absolute Dunkelheit. Ich meine wirklich absolute Dunkelheit. Keine hellen Städte in der Ferne. Einfach nur schwarze Stille. Im Zug schaukelt es stark. An der Toilette merke ich das mit allen Sinnen. Männers setzt euch doch einfach hin…

Split

Mit knapp 30 min Verspätung komme ich in einem Vorort von Split an und mache mich auf den Weg zu meinen Liebsten. In den letzten 4 Jahren habe ich sie fast jeden Tag gesehen und fest in mein Herz geschlossen. Ich bin zwar in Kroatien. Aber es ist eine Heimkehr. Denn Heimat ist da, wo deine Freunde sind.

Freitag, 7. Oktober 2022 – Urlaub in Split

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön es ist, endlich wieder in einem Bett in einem Zimmer ganz für mich alleine zu schlafen. Meine Freunde haben die letzten Tage entspannt und wollen heute mit mir nach Split fahren. Pünktlich um 10:15 Uhr brechen wir auf. Wir, das sind elf junge (Ex)-Pharmaziestudierende, die so passend sämtliche Klischees über deutsche Touristen erfüllen, wie es nur geht. Ich sehe es kommen, es wird ein sehr wilder und lustiger Tag werden.

Die deutsche Reisegruppe ist schockiert von diesem Bahnhof. Wobei Bahnhof wirklich eine Übertreibung für diese Bruchbude und das einzelne Gleis ist. Der Zug ist ein Ein-Waggon-Zug. Dafür ist die Aussicht fantastisch. Und auf dem Weg nach Split hatte ich gestern noch schlimmere Bahnhöfe gesehen, was meine Freunde mir aber nicht glauben wollen.

Atemberaubende Adria
Kastel Stari, Bahnhof von Weltrang

In Split angekommen wird schnell klar, dass es zu elft zu kompliziert ist, eine Stadt zu besichtigen. Bereits am ersten Halt – einem Markt – sucht ständig jeder jeden. Die Reisegeschwindigkeit im Anschluss beträgt circa 3 Meter pro 7 Minuten. Recht schnell trennen sich unsere Wege und die ersten Teilgruppen entstehen. Meine Gruppe ist der Meinung, dass es nach anstrengenden 150 Metern Zeit für das Mittagessen ist. Das Reisen in Kleingruppen ist entspannter aber nicht schneller. Zur Ruhe komme ich nicht wirklich, da ich mich zu sehr über meinen grauenhaft schmeckenden Salat aufrege. Aber heute habe ich Urlaub, also versuche ich das Mittagessen trotzdem zu genießen.

Mehr oder weniger gestärkt irren wir weiter durch Split. Es ist eine schöne, typisch mediterrane Stadt. Das Wetter ist traumhaft. Die Sonne scheint angenehm warm, ohne zu heiß zu sein. Im Trubel der Stadt treiben wir. Auch wenn das bedeutet, dass so manche Treppenstufe auf uns wartet.

Irrwege in Split

Nach einer guten Stunde ist für den Rest der Truppe schon wieder Zeit für eine Kaffeepause. Zum Glück ist Split nicht so groß. Am Hafen ist die Aussicht zum Glück aber auch wunderschön. Da gerät der Kaffee ganz in Vergessenheit. Die vielen kleinen Segelboote passen perfekt zu diesem Urlaubstag.

Urlaub Teil I
Urlaub Teil II

Weiter geht es für uns auf den Hügel Sustipan. Von hier haben wir eine grandiose Aussicht auf die Adria. Die Weite des Meeres erscheint unermesslich, aber auch nicht unendlich. Tausende Boote sind auf dem Meer zu sehen. Ein Boot hat eine Eintracht Flagge am Mast wehen. Als Frankfurter sind wir voller Ekstase. Hier bleiben wir sehr lange und treffen auch einen Teil der Gruppe wieder. Wenn man schon jemanden mit photographischen Talent und professioneller Kamera dabei hat, kann man auch noch ein kleines Fotoshooting machen. Wobei ich trotzdem lieber Natur als Menschen fotografiere. Nach 235 Bildern machen wir uns wieder auf den Weg. Nächster Halt: richtig, wieder ein Ort zum Essen.

Urlaub III
Fernweh
Zur See auf der Adria
Bei der Arbeit

Frisch gestärkt geht es in den Trubel der Altstadt. Der Volksplatz ist zwar ein historisch schöner Ort, nur voll und turbulent ist er leider auch. Ich bin ein großer Fan der alten adriatischen Hafenstädte und daher ist der große Trubel für mich kein Problem.

Altstadttrubel

Der historischen Diokletianspalast liegt im Zentrum von Split und ist der Höhepunkt der Stadt. Ein Meisterwerk der Geschichte. Überfüllt und trotzdem traumhaft. Die hellen Steine der Mauern erwärmen den ganzen Platz. Wie auch Dubrovnik oder Malta assoziieren viele diesen Ort direkt mit Game of Thrones. So gibt es hier das entsprechende Museum zur Serie und so wurde hier auch ein Teil der Serie gedreht. Bekannter ist trotzdem jene andere Stadt an der kroatischen Adria.

„Vergiss nie, was du bist, der Rest der Welt tut es auch nicht. Trage es wie eine Rüstung, dann kann es nie dazu benutzt werden, dich zu verletzen.“ – Tyrion
„Mein Bruder sagte mir mal, dass nichts, was jemand vor dem Wort ‚aber’ sagt, wirklich zählt.“ – Benjen Stark

So und was kommt jetzt? Natürlich essen. Weil die kroatische Küche so toll ist, gehen wir japanisch essen. Aber das war die richtige Entscheidung. Denn es war das beste asiatische Essen, was ich jemals gegessen habe. In guter Gesellschaft schmeckt das Essen sowieso am besten. Und dann endet das Abenteuer der 11 Almans in Split und wir machen uns wieder auf dem Weg zu unserem Ferienhaus. Bei Sauna und Pool kann ich den Urlaub perfekt abschließen. Bei Tag 1 „meines Urlaubs“ habe ich meine Reise schon fast wieder vergessen und kann mir kaum vorstellen bald wieder im Zug zu sitzen. Aber zu elft unterwegs zu sein ist auch anstrengend, selbst, wenn ich die Menschen mit denen ich unterwegs bin, wirklich liebe. Und am Ende reise ich doch immer am liebsten alleine.

Gute Nacht!

Samstag, 8. Oktober 2022 – Geschichten, die das Leben schreibt

Split

Die Nacht in einem richtigen Bett war wieder ein wunderschönes Erlebnis, selbst wenn ich heute Nacht wieder mit den Mücken kämpfen musste. Die verfolgen mich diesen Monat. Aber dafür gibt es Pancakes am Morgen. Am Vormittag widme ich mich einer meiner Lieblingsaktivitäten: Bewerbungen schreiben. Nach der Arbeit kommt das Vergnügen und ich kann mich wirklich meinem Herzensprojekt – dem Schreiben – widmen.

Pakostane

Nach dem Mittagessen geht es nach Pakostane. Ein kleiner Ort mitten an der kroatischen Adria und Ziel von dutzenden Urlauben meines besten Freundes. Als alter Nostalgiker möchte er nochmal dorthin. Da schließe ich mich gerne an. Unser bester Freund ist noch mit dabei und so machen wir zu dritt die Welt unsicher.

Der Weg nach Pakostane geht durch die eigenschöne Landschaft Kroatiens. Im Auto läuft Country Musik und ich fühle mich inmitten der Winnetou-Landschaft.

Männer bei der Arbeit

Bevor es in den Ort Pakostane geht, geht es für uns in das abgelegene Fledermaus Hotel. Ein wirkliches Hotel ist es nicht. Es ist ein Abstellplatz für Camper und andere Autos, die auf Reisen sind. Aber Reisende können dort sehr gut Essen und Trinken. Der Wein ist sehr zu empfehlen! Zu Wein und Essen bekommen wir Grappa geschenkt. Vor diesem werden wir zeitgleich vom Besitzer gewarnt. Gerade der Kirsch-Grappa schmeckt süß und auf gar keinen Fall nach 40 % Alkohol… Grappa ist immer ein gefährliches Spiel. Und meistens enden Tage, bei denen es Grappa gibt, anders als ursprünglich geplant. Das Fledermaus Hotel ist übrigens in deutscher Leitung.

Sie sehen ein 4 Sterne Deluxe Hotel
Urlaub Tag II

Das schönste an diesem Ort ist – neben der Gesellschaft natürlich – der Ausblick auf den Vrana See. Dieser ist elysisch! Obwohl Oktober ist, erfrischen wir unsere Füße im See.

Wer hat hier seinen Stuhl vergessen?
Life is good

Da der Platz von Deutschen betrieben wird, gibt es natürlich einen Platz zum Boule spielen. Während wir uns anfangs noch darüber lustig gemacht haben, dass wir ja noch keine Rentner seien, enden wir wenig später in einem heftigen Boule-Wettkampf.

Ein Herz für Almans

Wir sind übrigens nicht ganz alleine im Fledermaus Hotel. Deutsche Touristen beherrschen den Ort. Während anfangs unser Angebot mitzuspielen mit großem Lachen abgelehnt wurde, bekommen wir wenig später eine neue Mitspielerin. Und so treffen wir auf Anja, die gerade frisch Ärztin geworden ist und jetzt einen letzten Urlaub mit ihrer Mutter unternimmt. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Wir spielen Boule, reden, essen und trinken fleißig und vergessen die Zeit. Die Warnung vor Kirschgrappa wird hier pro forma noch einmal wiederholt…

Wer muss schon nach Pakosatne, wenn man das hier sehen kann

Und während die Zeit vergeht und es dunkel wird, wird uns allen klar, dass wir nicht gedacht hätten, dass der Tag so endet, aber er besser endet als gedacht. Und während die Dunkelheit aufzieht, werden die ersten Teelichter angemacht. Anjas Mutter hatte die letzten Tage eine grandiose Idee, um Geld zu sparen. Grabkerzen sind viel günstiger als die meisten Kerzen und halten ewig. Und auf dem Deckel der Grabkerze kann man sogar noch die Reste des Schinkens anbraten. Und während wir bei Mondschein ersten Fledermäuse sehen und so schöne Momente erleben, die man gar nicht festhalten kann, wird die Stimmung nur durch den Duft von verbrannten Speck und Autan getrübt. Denn bei dieser Mückenplage ist Autan unser neues Deo geworden.

Die schönsten Geschichten sind die, die das Leben schreibt und nicht man selbst

Sonntag, 9. Oktober 2022 – Abschied, Sonnenuntergang und nächtliche Fährfahrten

Split

Es gibt keine Nacht auf dieser Reise, wo ich nicht von Mücken tyrannisiert werde. Trotz der Mücken habe ich bis jetzt eine wundervolle Zeit. Nur selbst wenn ich meine Freunde noch so sehr liebe, so sind es mir momentan doch ein paar Menschen zu viel auf einem Haufen. Ich freue mich schon darauf, wenn ich wieder alleine reise. Allzu verwunderlich sind diese Gefühle aber nicht, da ich sie bereits von meiner/unserer Irlandreise 2021 kenne. Da waren mir teilweise schon zwei weitere Menschen zwei zu viel.

Nach dem Frühstück plane ich, wie es für mich weitergeht. Italien ist dann doch wirklich etwas teurer als Rumänien. Für das, wofür ich in Rom ein Bett im 12-Bett-Zimmer bekomme, bekomme ich in Bukarest ein eigenes Zimmer. Aber ich halte an meinem neuen Plan fest!

Während ich in der Sonne liege und die nächste Zeit plane, merke ich, wie Leid ich es bin, Dinge zu planen, aber wie schön Sicherheit doch auch ist. Städtetrips und so Kurzreisen wie England am Anfang des Jahres nur so grob geplant zu haben, funktioniert super, aber eine Monatsreise spontan und ungeplant zu machen ist zu viel für mich. Ich habe geplante Reisen immer verteufelt, aber der Komfort erscheint jetzt verführerisch. Man muss nicht immer alles bis ins letzte Detail planen, aber zu wissen, wo ich in 2 Tagen schlafe, sollte schon drin sein. Aber ich lerne noch für meine nächsten Reisen. Spontanität ja, aber auch ein gesichertes Bett muss drin sein!

Beim Planen fällt mir auf, dass ich am Montag gar nicht nach Italien fahren kann. Die Fähre fährt heute oder Dienstag. Die Zeit des Urlaubs endet heute, ich fahre noch heute Abend nach Italien.

Aber Italien hat so viel und ich so wenig Zeit, wie soll das nur was werden? Und eigentlich war das einzig feste Ziel Admont in der Steiermark. Denn dieser Ort steht seit Jahren auf meiner Liste und das aus ganz besonderen und wichtigen Gründen. Schauen wir mal, wann ich wo Lande. Bei dieser Reise weiß ich das leider (oder zum Glück) noch nicht.

Und dann heißt es Abschied von meinen Freunden zu nehmen. Und ich verweise wieder auf mein Lieblings Zitat von Tag 0.

It’s time to say goodbye, but I think goodbyes are sad and I’d much rather say hello. Hello to a new adventure.

– Ernie Harwell

Im Zug zur Fähre realisiere ich erst, was das für ein Abschied war. Nicht nur ein Lebewohl zu Freunden und Kommilitonen, sondern auch ein Abschied von meiner Uni Zeit. Das Studentenleben ist vorbei. Meine besten Freunde, die ich zum Teil öfter als meine Familie gesehen habe, werde ich nur noch unregelmäßig sehen und egal wie viel Mühe wir uns geben, manche Bände – egal wie stark sie scheinen – zerbrechen an der Zeit, dem Wandel und der Distanz. Aber in der Melancholie kommt mir die Konversation aus Galway mit meinem besten Freund wieder in den Sinn: „Max, ich bin mir sicher, du wirst deinen Weg gehen und du wirst zufrieden sein.“

In Split wird der bittersüße Abschied durch einen traumschönen Sonnenuntergang perfekt gemacht. Ich habe schon viele Schöne gesehen, dieser wird mir aber lange in Erinnerung bleiben.

„Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft.“ – Friedrich Schiller, Die Jungfrau von Orleans
Good-night, good-night! parting is such sweet sorrow,
That I shall say good-night till it be morrow.

William Shakespeare, Romeo and Juliet

Der Fährhafen ist zum Glück touristensicherer als die irischen Fähren und so lande ich auf der richtigen Fähre. Die ist fast leer und ich liege auf einer Reihe von Stühlen. Bequem ist es nicht, aber die Zeit der Einzelzimmer und großen Betten endet jetzt wieder. Pünktlich um 19 Uhr legt das Schiff ab. Keine Viertelstunde später schlafe ich auf wunderbarem Hartplastik, während der Schimmer des Mondes die nächtliche See erhellt und meine Träume bewacht.

Montag, 10. Oktober 2022 – Endlich wieder Italien!

Ancona

Um halb sechs bin ich mehr oder weniger ausgeschlafen. Die Plastiksitze waren besser als manches Hostelbett. Das Meer ist noch mit einem dunklen Schleier bedeckt. Um halb sieben erscheinen die ersten Lichter der Stadt am Horizont. Der orangene Sonnenaufgang über dem Meer ist ein wunderschöner Anblick. Besser kann ein Tag nicht starten.

Wer die Arbeitsweise des öffentlichen Dienstes (in Italien) verstehen möchte, der muss den Film „Der Vollposten“ gesehen haben. Ich habe selten eine so akkurate Darstellung gesehen. Denn trotz Schengen gibt es in Ancona zunächst Grenzkontrollen. Es gibt zwei Beamte und zwei Schlangen. Über beiden Schlangen steht Unionsbürger und alle Pässe. Also an sich zwei identische Schlangen. Nicht aber, wenn man in Italien ist. Denn Grenzbeamte 2 möchte nicht arbeiten und sagt, dass er nur italienische Pässe kontrolliert. Also kontrolliert er zwei Pässe und hat danach nichts zu tun, während sein Kollege im Stress versinkt und der Unmut in der Schlange steigt. Wenig später sagt Beamter 2, dass er auch deutsche, französische und englische Pässe akzeptiere. Zum Glück langt mein italienisch, um das zu verstehen. Weil Beamter 2 jetzt im totalen Stress steht, schaut er nur kurz auf den Ausweis und scannt ihn erst gar nicht. Den Sinn dahinter verstehen wohl nur italienische Staatsdiener.

Eigentlich wollte ich direkt weiter nach Rimini und San Marino, aber wenn ich mir Ancona so ansehe, hat die Stadt irgendwas, was mich anzieht.

Magische Anziehung

In Ancona geht es für mich hoch hinaus. Es zieht mich förmlich auf den Domhügel. Die kleinen Gassen auf dem Weg zum Dom sind der Grund, warum ich hier bin. Dieser einzigartige italienische Charme hat mein Herz erobert. Auf dem Weg zum Dom komme ich bereits an der einen oder anderen Kirche vorbei. Eine schöner als die andere.

Eine
Andere

Der anstrengende Weg hoch auf den Domhügel wird durch eine umwerfende Aussicht zurückgezahlt. Der morgendliche Ausblick ist überwältigend. Denn es scheint als kann ich tief in die schönen braunen Augen der italienischen Seele schauen.

Sinnbild von Italien

Italienische Kirchen sind etwas ganz Besonderes. Und selbst wenn ich keinen Draht zur Kirche habe, so machen diese Orte etwas mit mir. Und natürlich gibt es in der Umgebung der Kirche auch ein paar antike Ruinen. Das gehört zu Italien wie Burgen zum Mittelrheintal.

Grüß Gott
Morgenstund hat Gold im Mund… oder eben im Bild

Bevor ich wieder in städtischen Gebieten unterwegs bin, gehe ich etwas an den grünen Wegen der Meerseite entlang. Die Aussicht ist hier noch einmal besser als eben und das scheint mir fast nicht möglich zu sein.

Idylle

Bis auf ganz wenige Gassigänger ist es hier zu dieser frühen Stunde leer. Ich höre nur die Vögel zwitschern. Die verlassene Stimmung wird durch die alten zum Teil verlassenen Gebäude und dem alten Friedhof perfekt abgerundet.

Trubel
אֲרָעִיוּת

Nach der Ruhe geht es in den großen Trubel einer italienischen Großstadt. Aber die Italienerinnen schaffen es, entspannt hektisch zu sein. In der Stadt werde ich an eine klassische Asterix Szene erinnert. Der Duft der Markthalle ist zu dominant für meine Nase.

Mein Fisch ist frisch!

Italienische Kirchen sind immer etwas Besonderes. Das habe ich oben bereits geschrieben. Die Chiesa di San Domenico ist noch einen Ticken mehr besonders. Denn so ist sie nicht nur groß und imposant, so ist sie auch leer, still und bedächtig. Bei all der Monumentalität darf der Zweck einer Kirche nie in den Hintergrund rücken. Und so kann ich hier meinen Geist und meinen Körper ausruhen.

Ruhestätte

Nach der anstrengenden Erholung ist es Zeit zum Essen. Ich esse meistens nicht sehr besonders auf Reisen, aber die italienische Küche ist einer der Gründe, warum ich jetzt hier stehe. Ich liebe die italienischen Backkunst. Im Supermarkt wird beim Bedienen nebenbei noch telefoniert. Nach einer Ewigkeit bekomme ich mein Essen und mache mich auf den Weg ins Mole Vanvitelliana. Das Fünfeck war einst Quarantänestation – also nicht bei COVID-19, sondern weit früher – und ist jetzt Kunstausstellung. Neben der Kunst hat es aber auch Bänke und bietet mir die Chance, in Ruhe mein italienisches Brot zu genießen. Es ist köstlich.

Künstlerische Quarantäne
Mittagspause

Gestärkt geht es für mich zum Bahnhof. Die italienischen Schnellzüge sind in meinem Interrail Ticket nicht inklusive. Also fahre ich mit der kleinen Küstenbimmelbahn. Die hält zwar fast überall. Der Ausblick auf das strahlende funkelnde Blau des Mittelmeers ist es aber wert. Bei diesem Anblick habe ich das Gefühl, dass die nächsten Tage gut werden. Die Sorgen und Zweifel der ersten Tage sind mittlerweile so verflogen wie die Möwen über dem Meer.

Rimini

Rimini ist ein kleines ruhiges Städtchen. Das verwundert mich etwas, da ich Rimini eigentlich als Partymetropole abgespeichert hatte. Aber vielleicht stimmt so manches Vorurteil auch nicht. Der eigene Eindruck ist das, was zählt. Aber wie soll ich bei den ganzen vielen Eindrücken der letzten Tage eigentlich alle Eindrücke verarbeiten, realisieren und genießen können?

Ich mache mich auf den Weg zum historischen Kern der Stadt. Natürlich steht Rimini im Zentrum der Römer – was auch sonst? Mein erstes Ziel ist die Tiberiusbrücke. Die alte Brücke aus der Römerzeit steht noch heute. Die Römer waren einfach die besten Bauherren Europas!

Die Ruhe Riminis
Römische Qualitätsarbeit

In der Altstadt Riminis treffen die Überbleibsel aus römischer Zeit, dem Mittelalter und der Renaissance aufeinander. Trotz der historischen Vielfalt erscheint Rimini harmonisch. Auch das neue italienische Leben passt in die Welt hinein. Perfektioniert wird das Stadtbild durch die langsam untergehende Sonne, die mit ihrem warmen Licht die Stadt vergoldet.

Riminis Vergoldung

Rimini ist jetzt schon ein kleines italienisches Örtchen, was mir mit jeder Ecke der Stadt ein kleines Lächeln auf meine Lippen zaubert. Und während ich so glücklich durch die Stadt gehe, finde ich die Bibliothek. Ich erkenne auf den Postern direkt, dass es eine herrliche alte Bibliothek der Renaissance ist. Aber neben der alten Bibliothek befindet sich in dem Gebäude jetzt auch die moderne neue Stadtbibliothek. Da ich bekanntermaßen alte Bibliotheken liebe, gehe ich hinein. Das Problem ist, dass ich die historische Bibliothek nicht finde und durch die Bibliothek herumirre. Die Mitarbeiterin der Bibliothek versucht mir zu helfen. Sie kann nur kein englisch kann und ich kaum italienisch. Irgendwie versteht sie aber, dass ich in die alte Bibliothek möchte. Die ist zu. Sie schließt sie extra für mich auf, damit ich hinein kann. Und dann wird ein Traum von mir wahr. Ich wusste zwar nicht, dass das ein Traum von mir ist, aber er ist in Erfüllung gegangen. Ich kann ganz alleine durch eine Bibliothek der Renaissance wandern. Ich bin einfach nur glücklich. Das mille grazie am Ende an die nette Dame kommt von ganzem Herzen.

ut conclave sine libris ita corpus sine anima
Ganz für mich alleine!

Zu jeder italienischen Stadt gehört auch ein großer zentraler Platz. Dieser Ort stellt das Herz einer jeden italienischen Stadt dar. In Rimini ist dieses Herz der Cavour Platz.

Riminis Herz

Neben Römer gibt es aber noch mehr in der italienischen Geschichte. So steht in Rimini auch noch die Burg Sismondo, die aus dem 15. Jahrhundert stammt.

Düstere Renaissance

Trotz Renaissance dürfen die Römer nicht zu kurz kommen. Denn eine jede bedeutende römische Stadt braucht einen Triumphbogen und ein Amphitheater. Rimini hat natürlich beides.

Warum gibt es eigentlich keine Triumphecken?
Früher war mehr Arena!

Das letzte kulturelle Highlight der Stadt ist die Kathedrale. Der Tempio Malatestiano ist ein gebührendes Ende für das Kulturprogramm.

Auf der Suche nach Gott oder der nächsten Kurznachricht

Neben der Kultur ist Rimini auch für seine weiten Strände bekannt. In der Dämmerung sind diese fast leer. Ich finde nur ein paar Spaziergänger. Zum Baden ist das Wasser jetzt zu kalt. Meine Füße dürfen trotzdem die Frische Neptuns genießen. Die Ruhe wird aber gestört. Ich finde nicht viel Müll am Strand. Aber jedes Fitzelchen Plastik bringt mich zur Weißglut. Aber meckern kann jeder. Und so trage ich alles, was ich tragen kann und suche den nächsten Mülleimer.

Abendruhe

Zum Abschied des Tages gönne ich mir das, weswegen ich eigentlich nur hier bin. Pizza! Und ja auch diese Pizza war einfach köstlich!

Tag 11 – Land Nr. 4 und Kulturtourismus

Rimini

Trotz Mehrbettzimmer konnte ich diese Nacht perfekt schlafen. Ob das an Italien oder doch an meinen Ohropax liegt, muss noch abschließend geklärt werden. Meine Beine melden sich nach den ganzen Kilometern vom gestrigen Tag und sind spürbar schwer geworden. Aber Vorfreude und Reisefieber kann Berge versetzen. Das ist auch nötig. Denn heute geht es in das vierte Land meiner Reise. In den bergigen Zwergstaat San Marino mitten in den italienischen Weiten.

Beim Kauf der Bustickets in Rimini spüre ich wieder die italienische Mentalität. So wird bei meinem Ticketkauf alles getätigt außer der Kauf der Tickets. Wann soll man denn auch sonst telefonieren?

San Marino

Heute Morgen breitet sich ein seichter Nieselregen über Rimini aus. Zum Glück sitze ich im Bus. Wobei diese Fahrt auch mehr als abenteuerlich ist. So ist in Italien ein Kreisverkehr per se zweispurig, egal wie klein er ist, und eine Vespa macht auch immer genau das, was sie gerade will. Und dann ist San Marino noch ein sehr bergiger Staat.

Oben angekommen kann ich mich darüber freuen, dass auf meiner Länderliste ein Kreuz mehr ist. Auf meiner Weltkarte zum Freirubbeln macht San Marino keinen großen Unterschied aus. Groß ist übrigens auch nicht die Sichtweite. Es ist neblig. Aber Nebel und Zwerge gehören irgendwie auch zusammen.

Zwergennebel

Das historische Zentrum der ältesten Republik der Welt ist steil und verwinkelt. Es ist winzig. Natürlich ist die Republik San Marino mehr als nur San Marino Citta aber das Zentrum dieses Zwergstaates macht dem Namen alle Ehre. Im Zentrum steht die Basilika des Heiligen Marino. Nach ihm ist dieses Land benannt.

Immerhin ein Zwerg mit Säulen

Der eigentliche Mittelpunkt San Marinos ist aber keine Kirche, sondern ein Netz aus kleinen Gassen. Sie laden zum Schlendern und Velaufen ein. Zum Glück können Besucher sich im Zwergstaat nicht all zu sehr verlaufen.

Der kleine Sehnsuchtsbummler möge bitte in Gasse 7 abgeholt werden

Das schöne an dem leichten morgendlichen Nebel ist, dass die mittelalterlichen Burganlagen der Stadt so viel mystischer und romantischer aussehen.

Romantik pur
Burgenland San Marino

Die Burganlagen aus hellem Sandstein spielen in San Marino ein wunderbares Spiel mit der grünen Natur. So verdecken Bäume immer wieder die massiven Mauern der Stadt und ich finde selten etwas, was gar kein grün in der Nähe hat.

Die Mauern der Republik
Niemand hat die Absicht einen Wald zu pflanzen

Und dann endet meine Exkursion durch die kleinen Gassen San Marinos. Die wunderschöne Aussicht und die kleinen Gassen werde ich so schnell nicht vergessen.

Über den Dächern
Jeder Gang macht schlank – hier umso mehr

Die Busfahrt zurück nach Rimini ist nicht weniger abenteuerlich als die Hinfahrt. Mit dem Zu geht es weiter nach Bologna. Eigentlich wollte ich nach Ravenna, aber laut meiner Interrail App gibt es keinen Zug mehr nach Ravenna. Laut den Anzeigen am Bahnhof hält aber nahezu jeder Zug nach Bologna auch in Ravenna. Also kann ich zum Glück doch noch nach Ravenna. Manchmal ist eine Anzeigetafel besser als jede App.

Ravenna

Schon wenige Meter neben dem Bahnhof ist die erste Kirche der Stadt. Die erste Kirche von vielen. Ravenna war lange Bischofssitz und ist die Musterstadt für frühchristliche Kirchen, Taufkapellen und Bauwerke. Dafür ist es auch UNESCO-Welterbe. Neben der Kirche ist Ravenna aber auch noch anderweitig historisch bekannt. Hier residierten lange die weströmischen Kaiser. Odoaker und Theoderich sind die wichtigsten Bewohner der Stadt. Allem in allem ist Ravenna eine echte Wucht in Sachen Kirche, Kultur und Geschichte.

Die erste Kirche von vielen

Das Schöne an frühchristlichen Kirchen ist nicht ihre Außenarchitektur, sondern die vielen schönen bunten Mosaike im Inneren. Die Sant’Apollinare Nuovo, die von Theoderich erbaut wurde, bildet den Anfang meiner Kulturreise durch Ravenna. Bei den Kirchen in Ravenna steht die Geschichte im Vordergrund und nicht das Gotteshaus als Ort der Besinnung.

Es kommt ja auf die inneren Werte an

Neben Kaisern und Kirchen sitzt in Ravenna noch etwas anderes. Hier liegt der italienische Nationaldichter Dante Alighieri begraben. Seine göttliche Komödie ein Meisterwerk der Literatur. Das Ehrengrab hat er daher mehr als nur verdient. Im Vergleich zu Goethe ist es auch wesentlich imposanter.

Nessun maggior dolore
che ricordarsi del tempo felice
ne la miseria

Neben der ganzen Kultur darf die wundervolle italienische Lebensweise mit ihren einzigartigen Gassen natürlich nicht zu kurz kommen! Ich könnte ewig in diesem Land bleiben.

Italienische Gassenhauer

Ich lande wieder in einer Bibliothek. So wie gestern ist der historische Raum mit all den wundervollen Büchern und Kunstwerken eigentlich zu, aber ich werde wieder hereingelassen. Erneut ein ganz großes Danke an all die italienischen Bibliotheksmitarbeitenden! Es gibt in der Bibliothek eine gesonderte Ausstellung für den Begründer der italienischen Sprache mit ganz vielen wunderschönen Ausgaben seines Meisterwerks.

Non ragioniam di lor, ma guarda e passa.
Siehst du ihn?

Nach der Bibliothek geht es für mich in den Dom von Ravenna mitsamt Kirchenmuseum und Baptisterium. Die Mosaike sind wie immer faszinierend.

Äußeres
und
Inneres

So und was kommt jetzt? Richtig – wieder eine Kirche! Jetzt ist die Basilika San Vitale an der Reihe. Meinen üblichen Vortrag erspare ich dir. Dafür darfst du dir anhören, wie amüsant ich es doch finde, wenn in der Kirche steht, dass man leise sein soll, da es ein Haus der Andacht sei. Prinzipiell stimme ich dem vollkommen zu. Ich finde es nur ironisch, da ich für dieses Andachtshaus 8,50 Euro Eintritt bezahlt habe.

Unscheinbare Kunst
Wie viele Steine das wohl sind?
Falls noch jemand Inspirationen für eine neue Decke benötigt

Den Abschluss in Rimini bildet das Grab Theoderichs. Sein rundes Mausoleum ist etwas außerhalb vom Stadtkern. Aber ich laufe gerne. Es ist die goldene Stunde. Und für mich ist diese Stunde das schönste Gold auf der Erde.

Die beste Zeit des Tages
Ravennas Badewanne
Neue Wege

Im Zug durch die Dunkelheit melden sich meine Schultern, ich glaube, die nächsten Tage muss ich langsamer angehen. Es ist ein Marathon kein Sprint. Und ich habe noch fast 3 Wochen vor mir.

Das Hostel in Bologna ist eine faustdicke Überraschung. Im Bahnhofsviertel der Stadt steht dieses Premium Hostel. Es ist das beste Hostel der gesamte Reise. Es ist perfekt sauber. Die Zimmer sind riesig. Und im Preis ist auch noch Frühstück mit dabei! Alles ist ordentlich und modern. Es ist perfekt. Bis 23 Uhr bin ich sogar alleine im Zimmer und auch die Nacht verläuft ruhig. Gut, die Mücken sind da, das Leitmotiv der Reise.

Mittwoch, 12. Oktober 2022 – La dotta und auf den Spuren Julias

Bologna

Sollen sie doch Kuchen essen! Schlemmen muss heute sein. Schließlich heißt Bologna nicht ohne Grund auch „la grassa“ zu deutsch „die Fette“. Die italienische Küche wird heute ausgekostet. Gestärkt geht es für mich in die Altstadt.

Bologna ist für seine Arkadenbogen-Architektur zum UNESCO-Welterbe ernannt worden. Einen Mangel an Bögen kann ich auf den ersten Metern auch nicht feststellen.

Rundungen in schwarz-weiß

Die Bögen führen mich ohne Umwege zum Piazza Maggiore. Dort finden sich das Rathaus der Stadt, eine riesige gotische Kirche, zahlreiche historische Gebäude und der Neptunbrunnen. Ganz wichtig ist die Gruppe von Straßenmusikern, die mit feinsten Saxophon- und Tubaklängen die Musik meines Lieblingshelden über den Platz verteilen.

Das fette Rathaus
Warum steht bei la grassa eigentlich Neptun und nicht Bacchus?

Die Basilica San Petronio ist ein monumentales und imposantes Gebäude. So ist sie äußerlich nicht nur wahnsinnig groß, sondern innerlich auch riesig und atemberaubend. Die Kirche wird nicht ohne Grund vom Militär bewacht.

Alles nur Fassade?
Natürlich nicht!

Wofür ist Bologna bekannt? Wahre Nerds wissen das natürlich. Bologna ist die Heimat der ältesten Universität Europas. Fast eintausend Jahre ist die Universität alt. Ich liebe alte Universitäten. Jede gute Universität hat eine schöne Bibliothek. Bücher sind der Weg zur Freiheit und Freiheit ist der Weg zum Glück. Und die Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist, dass neben der Bibliothek der historische Anatomiehörsaal ist. Der geschichtsinteressierte Pharmazeut in mir ist vollkommen begeistert. Glück und Freiheit wollte ich auf dieser Reise finden und hier finde ich beides.

Für’s Protokoll sei mal erwähnt, dass ich das Fach Anatomie und Physiologie im Studium mit 1,0 bestanden habe
Warum war der Campus Riedberg nur so langweilig?

Natürlich gibt es in Bologna auch mehr Kirchen als Bücher. Ich sehe nicht alle, aber an den wichtigsten Kirchen führt mein Weg vorbei. Geleitet werde ich von den Arkaden. Die berühmten 2 Türme der Stadt (mitsamt Kirche natürlich) liegen auch noch auf meinem Weg.

Alles hat seine Ecken und Kanten – alles außer Bologna
Le due Torri: Garisenda e degli Asinelli

Und dann geht es für mich in das direkte Herz Bolognas – die Alma Mater Studiorum – Università di Bologna. Die Universität ist über die ganze Stadt verteilt. Nach knapp tausend Jahren ist dieser elitäre Ort jetzt eine Ansammlung grüner Kräuter, die noch mehr stinken als in Amsterdam und eine Ansammlung kubanischer Flaggen. Kaum hat das Land eine rechte Regierung, rufen die Studierenden hier die Revolution aus. So muss das sein. Ich will jetzt nicht über Politik reden. In eine Kampfrede bin ich trotzdem reingestolpert. Ich schleiche mich an den Kuba Flaggen vorbei und mache mich heimlich auf den Weg zu den historischen Gängen der Universität und spüre die Weisheit von 1000 Jahren akademischer Bildung. Also das und den Duft von Cannabis.

Ein hoch auf die freien Künste

Der Pharmazeut in mir möchte zur pharmazeutischen Fakultät. Ein Haufen Totenköpfe begrüßt mich. Die Pharmazie teilt sich das Haus mit der Anatomie. Das hat auch was als Eingangsdekoration. Weiter oben im Haus befindet sich die anatomische Sammlung, wo mit Wachsfiguren alles dargestellt ist, was man sich anatomisch vorstellen kann. Und wenn ich sage alles, dann meine ich alles. Ist sicher nichts für schwache Nerven, aber für mich genau das Richtige und Interessante.

Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage

Mein Weg führt mich noch durch den botanischen Garten der Universität, ehe ich mich im Zug in die nächste Stadt mache. Glück und Freiheit habe ich in Bologna gefunden. Aber finde ich jetzt noch die Liebe?

Verona

Verona. Das bedeutet Oper oder Romeo & Julia. Viel mehr verbinde ich mit dieser Stadt gar nicht. Aber brauche ich eigentlich noch unbedingt mehr? Oder langt das nicht?

Der Bahnhof von Verona liegt etwas außerhalb vom Stadtzentrum. Im Zug haben sich meine Schultern ohne Rucksack so frei und leicht angefühlt. Das ist jetzt wieder zu Ende. So schön diese Reise auch ist, so anstrengend ist sie auch.

Den Anfang der Stadt macht der Piazza Bra. Groß und weiträumig. Italienisch und Herz der Stadt. Das andere Herz steht direkt daneben. Das antike römische Amphitheater ist noch fast komplett erhalten und so noch heute das kulturelle Zentrum der Stadt. Die Opernaufführungen in Verona sind weltbekannt und der Grund, warum Verona ein Tourismus Hotspot in Italien ist. Und auch ich werde eines Tages wieder zurück nach Verona fahren, um dieses kulturelle Meisterwerk genießen zu können.

„Love’s a mighty Lord, // And hath so humbled me, as I confesse // There is no woe to his correction, // Nor to his Seruice, no such ioy on earth.“ – William Shakespeare, The Two gentleman of Verona
„Home-keeping youth have ever homely wits.“ – William Shakespeare, The Two gentleman of Verona

In Verona befindet sich der berühmteste Balkon der Literaturgeschichte. Hier spielt das bekannteste Liebesdrama der Literaturgeschichte. In Verona haben sich einst Romeo und Julia gefunden und ineinander verliebt. Der berühmte Balkon der Julia ist komplett voll. Meine Julia finde ich trotzdem nicht.

„It was the Nightingale, and not the Larke“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet

Das interessanteste an der norditalienischen Stadt ist aber, dass sie fast nur aus Touristen besteht und ich stellenweise mehr deutsch als italienisch hört. Das finde ich sehr bedauerlich, so ist italienisch doch eine so wundervolle Sprache. Trotz der nordischen Einflüsse ist die Pasta köstlich. Wer nach Italien fährt, der findet die Liebe (zum Essen).

„What light through yonder window breaks?“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet

Neben der Pasta darf die Kirche nicht vernachlässigt werden. So hat Verona davon auch einen Überschuss. Mittlerweile habe ich mich fast an die Imposanz der italienischen Kirchen gewöhnt. Das ist surreal, denn wie kann ein Mensch sich an das Atemberaubende gewöhnen? Ich hoffe, die Flamme wird in den nächsten Tagen noch einmal neu entfacht, sonst wäre es schade. Ich möchte schließlich so viele schöne Momente erleben wie nur möglich. Aber rentiert hat sich die Reise jetzt schon tausendfach.

Verona hat mehr als Liebe, Oper und Kirche. So fließt auch der Etsch durch das kleine norditalienische Städtchen und verfeinert das Stadtbild. Viel schöner als der Fluss, ist die Aussicht auf das, was hinter dem Fluss in sehnsüchtiger Ferne liegt.

„Holy Saint Francis, what a change is here! Is Rosaline, whom thou didst love so dear, So soon forsaken? Young men’s love then lies – Not truly in their hearts, but in their eyes.“ – William Shakespeare, Romeo and Juleit
A glooming peace this morning with it brings; The sun for sorrow will not show his head. Go hence, to have more talk of these sad things; Some shall be pardon’d, and some punished: For never was a story of more woe – Than this of Juliet and her Romeo. – William Shakespeare, Romeo and Juliet

Beim Gang durch die Gassen Veronas liegt der schöne Duft der italienischen Küche in der Luft. Ich bin zwar nicht mit den größten Kochkünsten gesegnet, aber bei diesem aromatischen Duft habe ich große Lust, meine Kochkünste zu verbessern und zu verfeinern.

„But, soft! what light through yonder window breaks? It is the east, and Juliet is the sun!“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet

Den vorletzten Punkt der Reise bildet der Arco dei Gavi. Natürlich hat Verona auch einen Triumphbogen. Irgendwie ist es schade, dass wir das heutzutage nicht mehr machen.

„If love be rough with you, be rough with love; Prick love for pricking, and you beat love down.“ William Shakespeare, Romeo and Juliet

Den krönenden Abschluss bildet die kleine Burg Veronas mitsamt der schönen Ponte Scaligero. Im Licht der untergehenden Sonne glühen die roten Ziegel vor Temperament, Leidenschaft und Schönheit. Das rote Feuerwerk passt zur Stadt der Oper und Julias. Rot wie die Liebe – Rot wie Verona.

„My only love sprung from my only hate! Too early seen unknown, and known too late!“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet
„Did my heart love till now? Forswear it, sight! For I ne’er saw true beauty till this night.“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet
„Too early seen unknown, and known too late!“ – William Shakespeare, Romeo and Juliet

Da alle Hostels bereits ausgebucht waren, schlafe ich in einem Motel außerhalb der Stadt. Meine Füße tun zwar schon weh, aber mit einem schönen Sonnenuntergang vor Augen läuft sich die Stunde fast ganz von alleine. Und dafür habe ich heute Nacht ein Zimmer ganz für mich alleine.

A glooming peace this morning with it brings;
The sun for sorrow will not show his head.
Go hence, to have more talk of these sad things;
Some shall be pardon’d, and some punished:
For never was a story of more woe
Than this of Juliet and her Romeo.

Donnerstag, 13. Oktober 2022 – Renaissance, Olymp und Heilige

Wenn ich schon ein Einzelzimmer habe, dann kann ich wenigstens auch mal den Schlaf genießen. Heute liegt wieder ein anstrengender Tag vor mir. Bis zum Bahnhof laufe ich wieder eine Stunde, ehe ich im Zug die wunderschöne Landschaft der Felder und Weinreben im goldenen Licht der morgendlichen Sonne genießen kann.

Vicenza

Wenn dir Vicenza nichts sagt, dann ist das kein Problem. Ich kannte es vorher auch nicht. Anscheinend hat Andrea Palladio hier ein Meisterwerk der Renaissance-Architektur hinterlassen. Daher ist die Stadt UNESCO-Welterbe. Wobei bei dieser großen Anzahl an Welterbestätten der letzten Tage ich mich frage, welche Stadt in Italien kein Welterbe ist.

Ich habe keinen Plan für die Stadt und lasse mich durch die Schönheit der Renaissance treiben. Im Trubel des italienischen Wochenmarktes versuche ich nicht unterzugehen. Es gelingt und so kann ich die Kultur und Geschichte Italiens genießen.

Säulen
Und noch mehr Säulen

Der berühmteste Gast Vicenzas ist nicht der Sehnsuchtsbummler, sondern kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe. Mein Lieblingsfrankfurter hat während seiner großen Italienreise einige Tage in Vicenza verbracht. So soll ihn die Stadt am meisten verzaubert haben. In meinen Augen auch nicht ganz ohne Grund. So schrieb er in seinem Reisebericht Folgendes:

„Vor einigen Stunden bin ich hier [in Vicenza] angekommen, habe schon die Stadt durchlaufen, das Olympische Theater und die Gebäude des Palladio gesehen. Man hat ein sehr artiges Büchelchen mit Kupfern zur Bequemlichkeit der Fremden herausgegeben mit einem kunstverständigen Texte. Wenn man nun diese Werke gegenwärtig sieht, so erkennt man erst den großen Wert derselben; denn sie sollen ja durch ihre wirkliche Größe und Körperlichkeit das Auge füllen und durch die schöne Harmonie ihrer Dimensionen nicht nur in abstrakten Aufrissen, sondern mit dem ganzen perspektivischen Vordringen und Zurückweichen den Geist befriedigen; und so sag‘ ich vom Palladio: er ist ein recht innerlich und von innen heraus großer Mensch gewesen.“

– Johann Wolfgang von Goethe

Das größte Highlight von Vicenza ist das Teatro Olimpico. Und das sage ich nicht nur, weil ich ein großer Liebhaber der italienischen Oper bin. So ist dieser Ort ein himmlischer Ort. Das Theater macht seinem Namen alle Ehre. So fühle ich mich wie auf dem Olymp.

Mein Olymp

Der Begriff Renaissance kommt von dem Begriff der Wiedergeburt. Während es bei der Renaissance um die Wiedergeburt der Antike geht, habe ich das Gefühl, dass ich während dieser Reise auch wiedergeboren werde. Nach den zerrenden letzten Wochen fühle ich mich jetzt unsterblich und voller neuer Energie.

Sonnige
Wiedergeburt

Am frühen Mittag kommt die Sonne so richtig zum Vorschein. Mit dem großen schweren Rucksack beginne ich tatsächlich auch im Oktober etwas zu schwitzen. Zum Glück hat Vicenza einen kleinen Park, der Schatten spendet. So schön die menschliche Kultur in Italien auch sein mag. An der Schönheit der Natur kommt kein Gebäude jemals vorbei. Unterstützt wird meine These durch ein paar kleine Kaninchen, die glücklich durch den Park hoppeln.

Beweisstück A
Beweisstück B

Die Tatsache, dass Vicenza natürlich auch noch eine schöne Kirche hat, setze ich als bekannt voraus. Wir sind in Italien. Aber ich denke, es ist besser, wenn ich bald Italien verlasse. Es ist so schön, dass ich fast abgestumpft werde. Jede Kirche ist im Vergleich zu den deutschen besonders. Selbst die kleinsten Kirchen sind im Inneren eine ganz neue Welt. Aber durch die schiere Menge verlieren sie ihre Einzigartigkeit. So sind sie zwar besonders aber doch auch ähnlich zu den anderen italienischen Kirchen. Abwechslung ist das beste Mittel im Kampf gegen die Abstumpfung des Gewöhnlichen. Wer viel Neues erlebt, wird viel mehr lieben lernen, als wer sich auf eine Sache konzentriert.

Padua

Wer hätte es gedacht, aber Padua ist UNESCO-Welterbe. Die Stadt hat sogar 2 Welterbestätten. Die Kultur kommt heute auf keinem Fall zu kurz. Die Cappella degli Scrovegni hat Zeitfenstertickets und so nutze ich meine Wartezeit sinnvoll im Kunstmuseum.

Künstlerisches Italien

So nett das Museum auch war, so ist das wahre künstlerische Highlight Paduas nicht das Museum sondern jene Kapelle. Ich kenne zwar Giotto di Bondone nicht, aber anscheinend soll sein Fresko weltberühmt sein. Dafür kenne ich mich einfach zu wenig mit Kunst aus.

Blaue Kunstgeschichte
Rechts war schon immer die Hölle

Padua hat mehr als Kunst und Kirchen. So ist die Stadt auch die Heimat der zweitältesten italienischen Universität. Bekanntester Professor der Universität ist Galileo Galilei. Während seiner Zeit in Padua hat er einige seiner bedeutendsten Werke verfasst. Noch heute greifen junge Leute in Padua nach den Sternen. So habe ich Glück, dass gerade eine Veranstaltung ist und ich mich heimlich in die große Aula schleichen kann. Die zusätzliche Studierendenkundgebung im Hof schafft zusätzlich Ablenkung.

Und sie bewegt sich doch!

Padua ist eine schöne Kombination aus alt und neu. Aus Trubel und Gelassenheit. Und dann noch überall der Duft des guten Essens!

Der Palazzo della Ragione

Ich hatte bereits erwähnt, wie besonders italienische Kirchen sind. Diese ist ganz besonders. Denn erstens ist der Weg dahin über den Prato della Valle mit seinen Brücken und über 70 Statuen ein wundervoller Weg. Und zweitens ist die Basilika Santa Giustina das Grab des Heiligen Lukas. Jener Lukas, der das Lukas Evangelium in der Bibel geschrieben hat. So ist die Kirche nicht nur schön, sondern wichtig und bedeutend zugleich.

Ihr aber sollt eure Feinde lieben und den Menschen Gutes tun. Ihr sollt anderen etwas leihen, ohne es zurückzuerwarten. Dann werdet ihr reich belohnt werden: Ihr werdet Kinder des Höchsten sein. Denn auch er ist gütig zu Undankbaren und Bösen. 36 Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist! – Lukas 6:35-36
Und wenn er dir siebenmal am Tag Unrecht tut und dich immer wieder um Vergebung bittet: Vergib ihm. – Lukas 17:4

Neben Religion und Astronomie gibt es in Padua noch die Botanik. So ist die Stadt Heimat von einem der ältesten botanischen Gärten Europas, der das zweite UNESCO-Welterbe der Stadt ist.

Zum Glück hatte ich auch Botanik mim Studium

Und dann gibt es noch die Kirche des Heiligen Antonius. Wobei ich es schon etwas schade finde, dass der Heilige Antonius eine so große Kirche hat und vor seinen Reliquien eine riesige Schlange ist und ich trotzdem nicht weiß, wer das überhaupt ist. Zu meiner Verteidigung, ich bin kein Kirchenmitglied. Aber ich werde diese Bildungslücke zu Hause schließen. Es gibt so viele Reliquien von ihm, da frage ich mich, was überhaupt noch in seinem Grab liegt. Diese riesige Wand von Reliquien ist imposant, beeindruckend, gigantisch und überwältigend. Die Kirchen Paduas sind eine Klasse für sich.

„Gottes Schutz scheint uns leicht entbehrlich, solange wir ihn besitzen. Zu unserem eigenen Nutzen und Wohl entzieht ihn Gott zuweilen, damit wir erkennen, dass ohne Gottes Schutz der Mensch ein reines Nichts ist.“
„Klein ist der Mensch, der Vergängliches sucht, groß aber, wer das Ewige im Sinn hat.“
„Kommt der Geist eines Menschen vor zeitlichen Sorgen nicht zur Ruhe, so kann er Gott nicht näher kommen.“

Den Abschluss des Tages hat die weltliche Macht. Wobei La Specola nicht ganz so irdisch ist. So ist dieser Turm einst Sitz der astronomischen Fakultät gewesen. Aber da ich auch immer nach den Sternen greife, ist das Ende des Tages so perfekt.

„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.“ – Der kleine Prinz

Und dann geht es für mich mit dem Zug in die nächste Stadt. Welche das ist, verrate ich noch nicht. Das soll ein kleines Geheimnis bleiben. Günstiger war wieder ein kleines Einzelzimmer in einem Motel. Allerdings hat das Zimmer Minus Einen Stern und Steckdosen, die so antik sind, dass ich aus purem Überlebenswillen meine Powerbank nutze.

Freitag, 14. Oktober 2022 – Venedig, Indiana Jones und der Heilige Gral

Es ist sieben Uhr. Ein paar Kirchturmglocken läuten. Ich bin schon wach. Heiß und voller Reiselust. Heute geht es nach Venedig. Die Hochburg des von mir so gehassten Massentourismus. Die dreckige Stadt voller Tauben. Warum spüre ich heute eine Lust, die ich seit Langem nicht mehr gespürt habe? Indiana Jones und der letzte Kreuzzug. Das ist der Film, den ich am häufigsten in meinem Leben gesehen habe. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Die Liebe zum Abenteuer und zur Geschichte treibt mich an. Die Suche nach dem Heiligen Gral als Leitmotiv hat mich schon immer fasziniert. So habe ich ihn doch schon in Bayreuth gesucht und Wagners Parsifal in Frankfurt erleben dürfen.

So früh kann ich leider noch nicht aufbrechen. Ich versuche die weitere Reise zu planen. Das ist auch wichtig, da mein Sehnsuchtsort Admont am Ende der Welt liegt. Ich kann den perfekten Plan entwickeln. Ich habe bis Dienstag geplant. Sowas kenne ich ja gar nicht, aber es fühlt sich gut an!

Und dann ist es soweit. Züge vom Festland nach Venedig fahren zum Glück im Minutentakt und ohne Rucksack läuft es sich viel besser. Beim Blick durch das Fenster weiß ich nicht, was mehr funkelt, die italienische Adria oder die Vorfreudentränen in meinen Augen.

Ich komme an inmitten des Trubels des vollen Hauptbahnhofes. Ich fliehe so schnell es geht. Die Menschenmassen werde ich nie ganz los sein. Natürlich nehme ich nicht das Wassertaxi, sondern laufe durch die Stadt. Das Lächeln auf meinen Lippen wird durch die wunderbare Morgensonne verstärkt. Die hellen Strahlen durchdringen immer wieder die Gebäude und werden so zum Kunstwerk.

Sonnige Kunst

Bevor ich tiefer in das Abenteuer Venedig eintauchen kann, lächelt mich eine kleine Bäckerei in einer Seitenstraße an. Wobei streng genommen in Venedig 90 Prozent aller Straßen Seitenstraßen sind. Mein Budget mag knapp sein, aber heute gönne ich mir es mal so richtig! Gefühlt gibt es in Venedig noch mehr Kirchen als Kanäle. Ich sitze auf den Stufen der Kirche San Rocco in der Sonne, während ich esse und blicke auf die Santa Maria Gloriosa dei Frari. Das kirchliche Fundament für die Suche nach dem Heiligen Gral ist gesichert.

Ein Mangel an pietas ist zumindest nicht zu erkennen

Ich und die Kunst, wir werden wohl keine Freunde außer ein gewisser Vincent sitzt mit am Tisch. Aber dennoch bin ich bei einem Thema nicht ganz unwissend. Tizian und die Kunst der Renaissance in Venedig. Dazu gab es 2019 eine Sonderausstellung im Frankfurter Städel. Ich erkenne seine Werke in der Kirche und huldige sein gigantisches Grab passend. Die Kirche ist leer und wirkt so noch gigantischer.

So werde ich ja noch glatt zum Kunstexperten

Venedig ist die Stadt der Liebe und ich verliebe mich unsterblich in die vielen kleinen Gassen und Kanäle Venedigs. Sie sind so einzigartig schön. Die kleinen Kanäle, die zum Glück nicht überfüllt sind und so unspektakulär besonders sind. Es hat ein bisschen was von meiner Lieblingsstadt Marburg, wo ich auch lernte, die kleinen Dinge zu lieben.

Kleine große Liebe

Und dann geht es für mich zum wichtigsten Platz Venedigs. Ich rede nicht vom Markusplatz, sondern vom Campo San Barnaba. Vor der Kirche des San Barnaba und dem Rio de San Barnaba spielt das bereits erwähnte filmische Meisterwerk. Hier hat Indiana Jones den Weg zum Heiligen Gral gefunden. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie glücklich es mich macht, an diesem Ort zu sein. Du musst es nicht verstehen, aber dieser Platz ist das pure Glück. Und so gönne ich mir hier ein wunderbares Frühstück und sitze auf dem Platz wie manch andere im Film. Allerdings kommt bei mir niemand aus dem Kanal gekrochen.

Ich weiß nicht, ob es am Frühstück, Indiana Jones oder an der Rucksackfreiheit liegt, aber ich merke, dass ich hier und heute ein neues Hoch erreicht habe.

Die Kirche ist heute keine Bibliothek sondern ein Museum für das Leben und Werk Leonardos da Vinci. Das letzte Abendmahl fehlt natürlich nicht. Die Suche nach dem Heiligen Gral kann weitergehen.

Ah, Venedig!
Der Sehnsuchtsbummler auf Indys Spuren
„Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes.“

Den Überfluss an Kirchen hatte ich bereits angedeutet. Dank dem City Pass für Venedig kann ich in viele der Kirchen hineingehen. Die Chiesa di San Sebastiano ist als Nächstes an der Reihe. Ich bin immer wieder auf’s Neue fasziniert, wie viel Kunst in ein so kleines Haus passen kann.

Viel Kunst in kleiner Fläche

Die nächste Kirche folgt zugleich. Auf der Suche nach dem Heiligen Gral ist das notwendig. Schöner ist aber eigentlich der Blick auf die Insel Giudecca mitsamt der Kirche Il Redentore, die vor Venedig liegt. Heute Vormittag ist keine einzige Wolke am Himmel und Venedig erstrahlt im schönsten Sonnenlicht. Die Kirche Il Redentore wurde übrigens von Palladio entworfen. Ja, das ist der Architekt, von dem wir es gestern erst hatten.

Möge die Sonne mich wenigstens erleuchten

Das schönste an Venedig sind – zumindest in meinen Augen – die kleinen Kanäle. Es berühmte Canal Grande ist der größte Kanal Venedigs. Welch kreativer Name! Aber ein Kanal braucht keinen originellen Namen, um die Massen anzuziehen. Der Canal Grande ist eines der meistfotografierten Motive in Norditalien. Der bekannteste Fotospot ist die Ponte dell’Accademia. Vor lauter Selfiesticks kann ich die Holzbrücke kaum überqueren. Ich möchte mich jetzt nicht über Massentourismus aufregen. Das wäre scheinheilig.

Die berühmteste Fotobrücke Italiens
Allerdings auch aus Gründen!
Keine Zeit scheinheilig zu werden! Ich suche ja den Heiligen Gral

Und dann komme ich zu einem weiteren Höhepunkt der Stadt. Wobei ich fairerweise dazu sagen muss, dass ich bis jetzt auch keinen Tiefpunkt in der Stadt erkennen konnte. Ich liebe die Oper! Und wenn ich nicht gerade bei den Klängen zu Parsifal den Heiligen Gral suche, dann verliebe ich mich in die Schönheit der italienischen Opern. Liebe, Drama und Leidenschaft. Und dazu noch Musik, die tief in die Seele schaut und das Herz sanft und zugleich fest umschlingt. Eine meiner Lieblingsopern ist Giuseppe Verdis La Traviata. Uraufgeführt 1853 im Teatro La Fenice. Und wo steht das Teatro La Fenice? Richtig in Venedig! Leider ist heute Vormittag keine Opernaufführung, aber eines Tages werde ich hier sitze und dem Zauber der Musik verfallen. Denn sie singen nicht ohne Grund La vita è nel tripudio! So sieht das Theater nicht nur schön aus, so singen hier auch die besten Sängerinnen und Sänger der Welt. Maria Callas war hier eine gern gesehene Dame.

Opera in musica

Jetzt geht es zum bekanntesten und vollsten Platz in ganz Venedig. Natürlich gehört der Markusplatz zu Venedig dazu. Aber ich muss nicht für 12 Euro einen Kaffee am Markusplatz trinken, nur weil Reisende das angeblich gemacht haben müssen. Ich fliehe schnell vor der großen Menschenmasse in die etwas kleinere Menschenmasse im Venezianischen Museumskomplex.

„Geh denn, aber tu’s.“ – William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig

Im Museum gibt es eine schier unendliche Menge an Kunst und Geschichte. Es ist ein solcher Überfluss, ich kann es kaum verarbeiten oder gar in Worte fassen. Ich kann mich nur durch die Geschichte treiben lassen. Durch Kunstwerke und Statuen. Durch Gold und Silber. Durch Edelsteine und Holz. Durch Bücher und durch modernste Technik.

Wo Bücher sind, da ist auch Liebe
Ehm, entschuldigen Sie bitte?
„X marks the spot“
Why then the world’s mine oyster,
Which I with sword will open.

Trotz all der Kunst und all der Geschichte, gefunden habe ich ihn am Ende doch nicht. Die Suche nach dem Heiligen Gral geht weiter. Ich habe viele Bilder vom Abendmahl und der Kreuzigung gesehen, doch der Gral selbst bleibt weiter verborgen.

Ich schaffe es nicht wirklich dem Trubel des Markusplatzes zu entfliehen. Der Markusdom hat mir eine zu lange Schlange, den verschiebe ich auf morgen. Es sind mir gerade zu viele Menschen. Der Dogenpalast ist voll, aber zumindest etwas ruhiger. Taschen sind im Palast eigentlich nicht gestattet, aber ich benutze immer meine Kameratasche als Tasche und kann so das System austricksen.

Die Räume sind groß und weit. Die Wände gehen in der schieren Menge aus Kunst und Gold fast unter. Besucher merken, dass Venedig eine Stadt der Kaufleute war. Wo Handel ist, ist Geld. Und wo Geld ist, ist Kultur, Bildung und Prunk.

„Ihr, die ihr nicht nach Aussehn wählt, wagt und wählt, was wahrhaft zählt.“ – William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig
„Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“ – William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig

Ich kann endlich wieder auf den kleinen und abgelegeren Wegen laufen. Je weiter ich mich vom Markusplatz entferne, umso leerer wird es. Das hält leider nicht lange. Es geht für mich in die – laut Instagram – schönste Buchhandlung Europas. Leider ist die Libreria Acqua Alta dadurch die vollste Buchhandlung Venedigs. Der kleine Geheimtipp ist mittlerweile ein Touri-Hotspot. Es geht um nur noch um Selfies und nicht um Bücher. Es gibt eine Warteschlange für den besten Fotospot. Ich verlasse die Buchhandlung ohne Selfie, dafür mit Büchern.

Bücher wie Sand am Meer

Die Ritaltobrücke ist wieder gut besucht und von Selfiesticks überladen. Ironischerweise sind diese hier nicht gestattet, aber wohl doch geduldet. Die Venezianer hassen zwar den Tourismus, aber COVID-19 hat auch gezeigt wie sehr sie davon abhängen.

Über sieben Brücken musst du gehen – eher 7000
Der große Kanal

Als Ausgleich für die ganzen Menschenmassen belohne ich mich wieder mit kleinen Gassen und kleinen Kanälen. Sie sind zum Glück leer und das Herz und die eigentliche Seele der Stadt.

Am Puls Venedigs

Mein nächstes Ziel ist eine kleine, vollkommen unspektakuläre Brücke. Man findet sie in kaum einen Reiseführer und doch war die Brücke über viele Jahrhunderte ein Hotspot der Stadt. Es geht um keine geringere Brücke als die „Ponte delle Tette“. Wortwörtlich heißt das „Brücke der Titten“. Wir sind immerhin im Land, das Silvio Berlusconi viermal zum Ministerpräsidenten gewählt hat. Der Name kommt daher, dass dort jahrhundertelang Prostituierte mit nacktem Oberkörper standen und Kunden anwerben wollten.

Bunga Bunga in Venedig

Die fehlende Kleidung wird im Palazzo Mocenigo, dem Textilien und Kostümmuseum, ausgeglichen. Der venezianische Karneval darf schließlich nicht unerwähnt bleiben. Das Museum ist menschenleer. Es gibt zusätzlich ein paar Räume, die sich den Düften widmen. Wer das Parfum gelesen / gesehen hat, wird einiges wieder entdecken.

Aber nicht nur das Museum ist menschenleer. Die umliegenden kleinen Gassen sind es auch.

Liebe
Und noch mehr Liebe

Den kulturellen Abschluss des Tages macht das Cà Rezzonico. Der Palast aus dem 18. Jahrhundert ist wieder menschenleer und wunderschön künstlerisch gestaltet.

Ganz schlichte Deckenbemalung

Die Aussicht vor dem Palast kommt Gralssuchenden wieder bekannt vor. Zum Glück gibt es heute keine Verfolgungsjagd auf dem Canal Grande.

Ruhige Gewässer

Heute soll ein Tag des Genusses werden. Ein letztes Mal gönne ich mir die fantastische italienische Küche. Eine letzte Pizza. Und weil wir in Venedig sind, gibt es einen köstlichen Bellini dazu!

Auf dem Heimweg laufen mir wie gestern wieder eine Gruppe fertiger „dottore“ entgegen. Zur Belohnung für den Studienabschluss trägt man in Italien wohl einen Lorbeerkranz. Irgendwie schade, dass ich keinen bekommen habe als ich mein Staatsexamen bestanden habe.

Bevor ich wieder in mein „Hotel“ fahre, laufe ich ein letztes Mal am Campo San Barnaba entlang. Jetzt in der Abendstunde strahlt er noch schöner. Das goldene Licht der Abendsonne liegt wie ein Heiligenschein über dem Platz. Aber habe ich jetzt bei meiner Suche nach dem Heiigen Gral den Heiligen Gral auch gefunden? Ja und nein. Den Gral als Objekt habe ich (noch) nicht gefunden. Aber die Suche nach dem Heiligen Gral ist mehr als ein Kelch. Die Suche nach dem Heiligen Gral ist nicht die Suche nach der Erlösung, sondern die Suche nach einem selbst. Man begibt sich auf eine Reise durch die eigene Seele. Und am Ende findet man sich selbst und das eigene Glück.

Nosce te ipsum
Junior, let it go.

Samstag, 15. Oktober 2022 – Zwischen Gold, Blasmusik und Bahnhöfen

Venedig

Halbzeit. So anstrengend es manchmal sein mag, ich könnte diese wunderbare Reise ewig fortführen. Ich habe so viele schöne neue Dinge gesehen und so viele schöne Momente erlebt, das lässt sich gar nicht festhalten. Ich versuch es trotzdem. Ich bin jetzt bei meiner zweiten Speicherkarte für die Kamera angekommen.

An Tag 16 meiner Reise soll ein ganz großer Traum von mir wahr werden. Dafür werde ich heute meine erste Nachtzugerfahrung haben. Vorher geht es noch einmal in mein geliebtes Venedig. Der Markusdom wartet auf mich.

Die Stadt ist noch voller als gestern. Es ist Samstag. Die 45 Minuten bis zum Markusdom fühlen sich mit schweren Rucksack wie eine Ewigkeit an. Auch die Seitenstraßen sind heute voll. Die Tatsache, dass das Frühstück heute auch wesentlich teurer als gestern ist, macht den Weg auch nicht angenehmer. Die vier Euro liegen immerhin nicht am Samstag, sondern nur an einer unglücklichen Bäckerauswahl. Manchmal habe ich Glück und lande in einer leeren kleinen Seitenstraße. Manchmal habe ich Pech und laufe am Fischmarkt vorbei, der mich an Ancona erinnert.

Der Markusdom ist so imposant wie gestern. Meinen Rucksack verstaue ich und meine Schultern atmen wieder. Jetzt heißt es Schlange stehen und die Morgensonne genießen. Für den Nachtzug habe ich extra schon einen Pullover an. In der Sonne eine schlechte Idee. Aber ich werde heute Nacht dafür dankbar sein. 30 Minuten später und ich stehe im Dom.

Schon bei den ersten Blicken durch die Eingangstür wird klar, an Gold mangelt es nicht. Imposant ist kein Ausdruck für diese unendlichen Weiten des Goldes. El Dorado existiert. Es liegt in Venedig. Der materielle, aber auch kulturhistorische Wert dieser Kirche lässt sich nicht in Worte fassen. Das teure Vergnügen ist jeden Cent wert gewesen. Das goldene Schimmern ist so imposant, dass ich die unendlichen Massen an Touristen nicht wahrnehme. Das Gold fließt durch die Kirche, wie das Wasser durch die Kanäle.

„Alle Dinge sind möglich dem, der daran glaubt.“
Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?

Hier gibt es so viele Reliquien, vielleicht finde ich irgendwo noch den echten Heiligen Gral. In den Dächern des Domes befindet sich eine faszinierende und wertvolle Sammlung mit Kunst, Gold und Schmuck aus der gesamten Weltgeschichte. Das Gold raubt mir den Atem. Die berühmten venezianischen Pferde lassen mich kalt, mein Herz schlägt für die alten Bücher.

„Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“
„Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!
„Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“

Neben der wunderschönen Kunst und Kultur habe ich von den Dächern des Markusdoms, eine fantastische Aussicht auf Venedig. Ich muss nur aufpassen, dass ich keine Selfies zerstöre. Rücksicht habe ich zum Glück auf dieser Reise gelernt. Der venezianische Löwe soll mich auf meinen Selfies vertreten.

Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.
Sorry für das zerstörte Selfie
Das geht schon als Foto von mir durch, oder?

Der Markusdom heißt übrigens so, weil der Heilige Markus hier begraben ist. Ja, der Markus, der das Markus-Evangelium geschrieben hat. Nach Padua besuche ich auf dieser Reise die zweite Evangelisten-Ruhestätte. Wie kam der Heilige Markus eigentlich nach Venedig? Durch Lügen, Raub und Betrug. Also nichts Besonderes für die Kirche des Mittelalters. Die feierliche Heimkehr zeigt eines der vielen weltberühmten Mosaike an der Außenwand des Domes.

Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.

Ich hatte nicht die größten Erwartungen an Venedig: voll, teuer, laut. Aber die Stadt hat mein Herz erobert. Es gibt so viele schöne kleine leere Gassen, und so teuer ist es in denen auch nicht. Auch als Reisender und nicht als Tourist kann ich Venedig entdecken. Venedig ist eine grandiose Stadt. Vielleicht bin ich durch Indiana Jones und dem Heiligen Gral etwas voreingenommen. Aber ich bin auch ein passionierter Fußgänger und da ist eine autofreie Stadt per se herrlich.

Im Zug, wo ich sitze und mich erhole, fühle ich erschöpfter, als ich es bin. Wahrscheinlich sollte ich langsam einen Gang zurückschalten. Und auch bei den Gedanken um die Zukunft sollte ich mir öfter denken, wird schon irgendwie alles klappen.

Im Zug verfalle ich der norditalienischen Landschaft. Ich erkenne zweifelsohne einen Unterschied zu den anderen Gebieten Italiens. Es ist hier landwirtschaftlicher. Ich sehe viel mehr Apfelbäume, Bauernhöfe, Felder aber auch noch Weinreben. Wir nähern uns Österreich.

Udine

Udine ist komplett leer gefegt. Es ist aber auch ein starker Kontrast und ich bin nicht im Zentrum unterwegs. Die Stadt wirkt tot und das ist fantastisch. Ich habe gerade das Gefühl, dass es keine Touristen in der Stadt gibt und das ist eine schöne Abwechslung.

Das Neue Giovanni da Udine Theater

Kirchen begleiten meinen Weg. Die Parrocchia della Beata Vergine delle Grazie sticht hierbei aufgrund ihrer schönen weißen Säulen und Bescheidenheit hervor.

Pace

Mein kirchliches Highlight habe ich in einer anderen Kirche. Eine ganz kleine Kirche mitten in der Stadt. Von außen sieht sie bescheiden aus. Innen ist sie wieder üppig ausgestattet. Sie ist komplett leer und strahlt Ruhe aus. Ich wusste bis eben gar nicht, dass ich diese Ruhepause und dieses Innehalten brauchte. Aber es fühlt sich gut an. In dieser Kirche scheint die Zeit still zu stehen.

Ruhe

Während ich mich auf dem Weg zum großen Freiheitsplatz mache, nehmen die Menschenmassen zu. Ich weiß zwar nicht warum, aber eine Blasmusikkapelle hat die Herrschaft über den Platz übernommen. Ich weiß nicht, was der Anlass ist und was das für eine Kapelle ist. Aber ich weiß, dass ich diese spontane Abwechslung sehr genieße.

Die Schönheit des Freiheitsplatzes darf dabei nicht in Vergessenheit geraten. An den Freiheitsplatz grenzt das Kastell der Stadt. Es liegt auf einem kleinen Hügel und so habe ich noch die Gelegenheit, einen letzten italienischen Sonnenuntergang zu genießen.

Das Castello di Udine
Time to say goodbye
Sonne, Dom und Abschied

Der letzte Programmpunkt für Italien ist der Dom von Udine. Den Gottesdienst möchte ich nicht stören und schaue so nur durch die Glastüren.

Und so endet meine Reise durch Italien natürlich mit einer Kirche.

Der Nachtzug nach Wien

Ich wandere noch ein wenig durch die Stadt, ehe ich um halb acht am Bahnhof von Udine ankomme. Mein Nachtzug geht um Viertel vor zwölf. Während ich am Bahnhof sitze und nichts tue, übermannt mich ein Gefühl der Erschöpfung. Kaum raste ich, da kommen die Zweifel.

Die Herrentoilette des leergefegten Bahnhofs ist ein Loch im Boden. Da ich gewisse Standards habe, entscheide ich mich für die Damentoilette. Sauber, schön und human ist diese zwar auch nicht, aber besser als ein Loch im Boden. Um diese Uhrzeit ist sie zum Glück auch komplett leer. Mit Ausnahme der Kabine neben mir, wo zwei Personen das Land der Liebe in vollen Zügen genießen.

Als ich um 21 Uhr auf meiner Bank sitze, patrouilliert die italienische Polizei den Bahnhof und kontrolliert die Ausweise der wenigen anwesenden Personen. Die Kommunikation erfolgt zwar mehr mit Händen und Füßen, aber am Ende läuft alles gut.

Die 4 Stunden ziehen sich unendlich lange. So langsam wird es kalt. Mein Frust wird größer als ein Automat meinen Euro schluckt und nichts ausspuckt. Aber ich weiß, dass ich das für einen höheren Grund mache. Morgen bin ich im am Ort meiner Träume.

Als ich nur noch 30 Minuten zu warten habe, kommt die Anzeige, dass der Zug 25 Minuten Verspätung hat. Und so endet Tag 15 meiner Reise in der Kälte auf einem italienischen Bahnsteig.

Sonntag, 16. Oktober 2022 – Albtraum, Tod und Zerstörung

Der Bahnhof von Udine

So dann kommt mein Zug erst an Tag 16 und nicht an Tag 15 an. Es ist ein bisschen ärgerlich, aber es ist mein erster Nachtzug und heute wird mein Traum wahr. Die 25 Minuten Verspätung stehen zwar noch immer an, aber mittlerweile sind es 35 Minuten.

Mittlerweile zeigt die Anzeige „verspätet“ an. Zum Glück habe ich über eine Stunde Umsteigezeit und Nachtzüge haben zusätzlich einen langen Aufenthalt in den Bahnhöfen.

Jetzt, wo der Zug eine Stunde Verspätung hat, wird die Sache kritischer. Aber immerhin gibt es jetzt die Aussage 70 Minuten Verspätung. Die 70 Minuten sind dann auch durch und die Anzeige zeigt 100 Minuten Verspätung an. Wenn das so weiter geht, habe ich wirklich ein großes Problem.

Wir sind mittlerweile bei 130 Minuten Verspätung. Ich stehe seit über 6 Stunden an diesem Bahnhof und so langsam wird der Traum zum Albtraum. Admont liegt so abgelegen, ich muss meinen Anschlusszug um 8 Uhr bekommen. Es muss auch heute klappen, denn morgen und übermorgen hat mein Traumziel geschlossen. Wenn es heute mit Admont nicht klappt, ist der Traum ausgeträumt für mich.

Jetzt sind es 170 Minuten Verspätung. Um kurz vor halb zwei habe ich einen zweiten Pulli angezogen. Es ist sau kalt und die Wartehalle wurde um halb eins geschlossen. Danke dafür. Vor lauter Verzweiflung bin ich schon vier Kilometer am Bahnhof auf und abgelaufen. Ich werde mein Programm wohl auf 2 Tage aufteilen und mir etwas Erholung gönnen. Die habe ich nach dieser Nacht auch bitternötig.

Ich habe noch in Venedig überlegt, ob ich nicht das Ticket ab Venedig kaufen soll, da ich gerne am Anfangsbahnhof einsteige. Ich hätte ja genügend Zeit dafür gehabt. Ich dachte aber den Aufwand, wieder zurück von Udine nach Venedig zu fahren, brauche ich mir nicht zu machen. Hätte ich das mal gemacht, dann würde ich jetzt zumindest nicht in der Kälte stehen.

Warum will ich eigentlich unbedingt nach Admont? Ich liebe Bibliotheken. In Admont steht die schönste Bibliothek der Welt. Ich kenne zwar nur Bilder, aber die sind atemberaubend genug gewesen. Trinity College war ein Sehnsuchtsort für mich, aber das ist die Endstufe. Ich habe mich schon früher für Naturwissenschaften interessiert und ein berühmtes Fresko der Bibliothek war sehr lange das Titelbild des passenden Wikipedia-Artikels und hat so prägende Eindrücke bei mir hinterlassen.

Is a dream a lie if it don’t come true
Or is it something worse

– Bruce Springsteen

Mit über 3 Stunden erreicht der Zug Udine. Ich habe meine Sitzplatzreservierung erst am Abend des 14. Oktobers gekauft, daher war die Auswahl der Plätze etwas begrenzt. Ich lande wieder in einem 6er-Abteil. Leider schlafen dort schon 4 Personen. Es ist eng und unbequem. Ich bin so müde und erschöpft, dass ich trotzdem etwas Halbschlaf finde. Für zukünftige Reisen werde ich aber den Nachtzug früher buchen oder wieder tagsüber fahren und die Aussicht genießen.

Es ist halb acht, als ich in Salzburg aufwache. Über 2 Stunden Verspätung. Meinen Anschlusszug werde ich nicht mehr schaffen. Also geht es für mich einfach weiter nach Wien. Ich hatte es bereits geahnt und mich mental darauf vorbereitet. Laut DB App fällt die Weiterfahrt des Nachtzuges sogar aus. Die Bahnsteiganzeige sagt, dass der Zug jetzt unter einer anderen Nummer weiterfährt. Ich habe keine Lust mehr auf das überfüllte Abteil und diesen Zug. Ich fahre mit dem Regionalzug nach Wien. Für Salzburg ist noch zu früh und ich bin zu erschöpft. Der Regio ist wenigstens leer und im Ruheabteil habe ich Platz zur Erholung. Außerdem habe ich ja jetzt Zeit… Übrigens, weil der Tag so super war, habe ich im Nachtzug auch meine Kontaktlinse im Halbschlaf verloren.

Die morgendliche Landschaft versucht sich bei mir zu entschuldigen. Österreich im Morgengrauen ist ein echtes Schmankerl. Das Licht der Morgendämmerung und der Nebel über dem Wallersee und den weiten Feldern und Wiesen ist ein mystischer und schöner Anblick. Da vergesse ich fast die Nacht.

Die Ruhe der Natur muss nur noch auf das Abteil überschlagen. Ein älteres Ehepaar hat nicht wirklich verstanden, was der Begriff Ruheabteil bedeutet. Bei dieser Aussicht will ich aber ohnehin nicht schlafen.

Wien ist eine wunderschöne Stadt. So schön, dass ich vor 3 Monaten extra nach Wien gefahren bin. Trotz dessen und meiner Klassenfahrt vor 5 Jahren habe ich noch 2 Dinge, die ich mir hier ansehen möchte. Für diese zwei Dinge habe ich jetzt zwei Tage Zeit. Etwas Erholung soll ja auch nicht schaden.

Wien ist am Morgen noch etwas kalt und vernebelt. Aber ich trage sowieso noch meinen zweiten Pullover. Ich war zwar schon zweimal in Wien, aber ich habe es trotzdem noch nie auf den Wiener Zentralfriedhof geschafft. Vielleicht auch deshalb, weil er zwar Zentralfriedhof heißt, er aber nicht wirklich zentral liegt. Aber warum will ich eigentlich auf einen Friedhof? Der Wiener Friedhof ist nicht irgendein Friedhof. Er ist der berühmteste und touristisch meistbesuchte Zivilfriedhof Europas. Der Friedhof ist die letzte Ruhestätte zahlreicher berühmter Künstlerinnen und Künstler und so Pilgerstätte zahlreicher Europäer. Mehr Touristen besuchen wahrscheinlich nur die Soldatengräber in der Normandie. Er ist so groß, dass er eine eigene Buslinie hat. Ich laufe natürlich trotzdem. Der Friedhof liegt noch im morgendlichen Nebel und hat so einen ganz mystischen und düsteren Charme.

„Death is just another path… One that we all must take.“ – Gandalf
„Man lobt im Tode manchen Mann, der Lob im Leben nie gewann.“ – Freidank, Bescheidenheit 25, Vom Lobe

Wie bereits angedeutet ist der Friedhof eine große Touristenattraktion. Es gibt zahlreiche Führungen. Von Mozart & Salieri bishin zu Beethoven findet Touristen alle. Wobei man nicht weiß, wo Mozart genau begraben ist, da er in einem anderen Wiener Friedhof kein Einzelgrab bekommen hat. Eine Statue steht hier trotzdem als symbolisches Einzelgrab. Aber auch Udo Jürgens und Falco liegen auf dem riesigen Areal. Bei Falcos Grab ist die Bezeichnung Pilgerstätte die richtige. Falco-Fans sind berüchtigt. Ein wahrer Fan pilgert mindestens einmal in seinem Leben zur Ruhestätte des großen Meisters.

Griechischer Wein
Und die altvertrauten Lieder
Schenk‘ nochmal ein,
Denn ich fühl‘ die Sehnsucht
Wieder, in dieser Stadt
Werd‘ ich immer nur ein Fremder sein, und allein
Humor hatte er oder sie auf jeden Fall

Zurück in der Wiener Innenstadt bin ich irritiert. Ich finde zwar offene Buchhandlungen an einem Sonntag, aber keine offenen Supermärkte. Nach einer Zeit finde ich einen überfüllten Supermarkt und kann mein Mittagessen im Park einnehmen.

Ich schlendere durch die wunderschöne Stadt und genieße Wien. Das Naturhistorische Museum Wien steht noch auf meiner Liste. Mitten im Wiener Zentrum steht dieser Prunkbau. Architekt des Bauwerks ist kein geringerer als Gottfried Semper, den ich aus dem schönen Dresden kenne.

Ach Wien, ich habe dich vermisst

Die ersten Hallen des Museums sind der Geologie gewidmet. Sie sind überfüllt mit Mineralien, Steinen und Edelsteinen. Ein Objekt sieht schöner als das andere aus. Diese bunte Farbenvielfalt! Ich verstehe jetzt umso besser, wie der von mir so sehr verehrte Alexander von Humboldt beim Studium der Geologie seine Liebe zur Naturwissenschaft und Natur gefunden hat. Die Kunst der Natur ist so schön, wie sie kein Mensch erschaffen kann. Einen Stalagmit aus der Höhle von Postojna entdecke ich auch.

Graue Schönheit
Bunte Schönheit

Auch die Geschichte kommt hier nicht zu kurz. So gibt es hier Ausstellungsräume über die Anfänge der Menschheitsgeschichte und den Beginn der Zivilisation. Bei der berühmten, aber winzigen Venusstatue bin ich etwas an Blaubeuren erinnert.

“Size matters not. Look at me. Judge me by my size, do you?”

In diesem Museum gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt. Besonders angetan bin ich von der Südamerika-Ausstellung. Ich verspüre eine unglaublich große Tropensehnsucht. Ich liebe Europa. Aber meine Sehnsucht für eine Reise in die Tropen lässt sich nicht in Worte fassen. Eines Tages bin ich in den Tropen.

Neben den Tropen geht es in dem Museum auch nach Unterwasser und zurück zu den Dinosauriern. Wie gesagt, es gibt nichts, was es nicht gibt.

Bei all dem Fernweh darf das Jetzt aber auch nicht vergessen werden
Willst Du mit mir Quallenfischen gehen?
Korallen ganz wie in Australien

Wusstest Du eigentlich, dass die Giraffe sieben Halswirbel hat? Und wusstest Du, dass der Mensch auch sieben Halswirbel hat? Schon faszinierend. Das alles lernst du in der zoologischen Abteilung des Museums. Du lernst aber auch viele ausgestorbene Arten kennen. Im Gegensatz zu den Dinosauriern sind diese Arten aber aufgrund einer anderen Spezies ausgestorben. Verantwortlich für die meisten ausgestorbenen Arten der letzten Jahrhunderte ist der Mensch. Momentan sind circa. 41.500 Arten vom Aussterben bedroht. Die zerstörerische Gewalt, die der Mensch an die Natur anlegt, macht mich wütend und bringt mich an den Rande der Verzweiflung.

Trotzdem oder gerade deshalb hat sich der Besuch des naturhistorischen Museums gelohnt und ich kann mich auf dem Weg zu meinem Hostel machen. Das Hostel Ruthensteiner ist eines der berühmtesten Hostels in ganz Wien. Ich will mich immer meinem Gastland anpassen und will daher diesmal in der Landessprache einchecken. Ich werde aber gefragt, ob ich das auch auf englisch machen könne. Meine Mitreisenden sind von überall aus der Welt und nicht aus der direkten Umgebung. Ich beschließe spontan meinen Aufenthalt um zwei Tage zu verlängern. Ich will nach Admont. Mittwoch öffnet das Kloster wieder für Besucher und Mittwoch werde ich dort sein. Egal wie. Ich plane einfach ein bisschen um und den Rest regelt mein Schicksal. Ich lasse meine Träume nicht von der ÖBB wegnehmen. Wien ist – wie ich vor 3 Monaten gelernt habe – die Stadt der zweiten Chancen.

Montag, 17. Oktober 2022 – Tagesausflug nach Budapest

Langsam gewöhne ich mich an mein neues Leben und der Alltag in den Hostels wird zur Gewohnheit. Die Füße tun immer noch weh, aber das ist normal. Ich fahre mit der Straßenbahn bis zum Wiener Hauptbahnhof und nach guten zwei Stunden erreiche ich am Morgen Budapest. Schönste sozialistische Plattenbauarchitektur begrüßt meine Ankunft.

In guter osteuropäischer Manier sind die U-Bahn-Stationen im tiefen Untergrund, aber dafür schön anzusehen. Deutlich weniger elegant und deutlich komplizierter ist dafür die ungarische Sprache. Hier versuche ich mich lieber nicht in der Aussprache.

Budapest ist unter anderem für seine vielen Bäder bekannt. In der Stadt gibt es 21 Bäder, wovon 10 ein Heilbad sind. Meine Badelust hält sich in Grenzen und so besuche ich sie nur von außen.

Das Szechenyi-Heilbad

Im wunderschönen Budapester Stadtpark gibt mehr als nur Bäder. So gibt es Seen, die Burg Vajdahunyad, einen Ballon und ganz viel Natur.

Die Burg Vajdahunyad
As soon as you’re born, they make you feel small
By giving you no time instead of it all
‚Til the pain is so big you feel nothing at all
A working class hero is something to be
„Das Geheimnis der ungeheuren afrikanischen Einöden wird endlich offenbart werden: Ein moderner Ikarus wird uns die Lösung dieses Rätsels bringen, das die Gelehrten von sechs Jahrtausenden nicht zu lösen vermochten. Bis jetzt galt es als wahnsinniges Beginnen, ein nicht zu verwirklichendes Hirngespinst, die Nilquellen zu erforschen. ….. Ja, noch mehr ist von dem unerschrockenen Pionier der Wissenschaft, von Dr. Samuel Fergusson, zu erwarten: Er will nicht nur die Quellen des Nil entdecken, er wird auch alle die verschiedenen bisherigen Reisen miteinander verbinden.“ – Jules Verne, 5 Wochen im Ballon

An dieser Stelle möchte ich auch einmal ein Loblied auf Europa singen. Die europäische Idee von Frieden, Freiheit und Freizügigkeit ist eine der besten politischen Ideen in der Geschichte. Der europäische Gedanken hat diese Reise erst möglich gemacht. Europa ist mehr als nur ein Brüsseler Bürokratie Wahnsinn. Es ist ein Lebensgefühl und ein ganz tolles sogar. Vollkommen zurecht wird Konrad Adenauer im Budapester Stadtpark mit einer Statue und einem ganz weisen Zitat gedacht.

„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“

– Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 15. Dezember 1954

Den Parkeingang bildet der Heldenplatz. Er erinnert an die Heerführer der sieben Gründungsstämme Ungarns.

Helden der Geschichte

Die Budapester Innenstadt ist zu Teilen UNESCO-Welterbe. Bemerkenswert ist dabei die schöne klassische Architektur der Straßen von Pest, dem Budapester Teil östlich der Donau. Die Staatsoper sticht besonders hervor. Ebenfalls weltberühmt ist die Kaffeehauskultur Budapests. Ich verzichte auf den Kaffee und erkunde die Stadt lieber auf eigene Faust.

Die Budapester Staatsoper
Die Andrassy Straße

Ein absoluter Höhepunkt Budapests ist die St.-Stephans-Basilika. Gewidmet ist sie dem Heiligen Stephan, dem ersten König der Ungarn. Ein monumentales Bauwerk ist der Dom ohne Frage, allerdings bin ich noch etwas mit den italienischen Kirchen übersättigt.

Tut mir leid Gotik, mein Herz gehört schon der italienischen Renaissance
Die Augen nach links

Das schönste an Budapest ist, dass die ganze Stadt schön süß duftet. Der Duft von Kürtőskalács liegt in der Luft. Die riechen übrigens nicht nur sehr gut, sie schmecken auch sehr gut. Gesund sind sie zwar nicht, aber manchmal darf ich auch mal ungesund sein.

Danach geht es zum architektonischen Höhepunkt der Stadt. Das Parlamentsgebäude ist das schönste Bauwerk an der der Donau. Die grünen Wiesen vor dem Parlament strahlen in leuchtendem Grün. Und auch das benachbarte ethnographische Museum ist ein schöner Anblick.

Völker hört die Signale

Aber auch der Blick über die Donau auf die Budapester Burg, die Kirchen und die Fischerbastion lohnt sich. Und natürlich ist die Donau – der Fluss, der mich 2022 verfolgt hat – an sich auch schon sehenswert.

An der schönen blauen Donau I
An der schönen blauen Donau II

Über die Freiheitsbrücke geht es für mich über die Donau. Von dort hat habe ich eine wunderbare Aussicht auf die beiden Städte Buda und Pest. Zur linken liegen die Gellert Höhlen, die versteckt im Fels ein Kloster beherbergen und zur rechten die Budapester Burg.

Freiheit aus Stahl
Der schönste Burgeingang seit langem
Hoch hinaus

Die Budapester Burg heißt zwar Burg, sieht allerdings nicht aus wie eine klassische Burg. Es ist eher ein Schloss. Das passt auch, denn in unmittelbarer Nähe der Burg sitzt der Präsidentenpalast. Über die aktuelle ungarische Politik schweige ich gezielt.

Tourismus 2022

Nach dem Heiligen Stephan möchte ich noch eine weitere Kirche namentlich benennen. Die Matthiaskirche ist eine wunderschöne spätgotische Kirche, die mit ihrer hellen Fassade im Licht der sich langsam setzenden Sonne wunderbar funkelt.

Funkelnder Matthias

Der zweitschönste Ort Budapests ist die Fischerbastei. Die Festung aus dem 19. Jahrhundert hat zwar eine militärische Vergangenheit, aber trotzdem ein märchenhaftes Antlitz. Mit hellen Farben und runden Türmen gleicht es einem Disney-Märchenschloss.

Märchenhaftes Ungarn

Das Ende des Tagesausfluges ist der Blick über die schöne blaue Donau auf das schönste Haus Ungarns.

Lebewohl Ungarn

Im Zug genieße ich einen wunderschönen Sonnenuntergang und die Metamorphose vom leuchtenden aprikosenfarbenen Himmel hin zur dunklen Nacht. Zurück in Wien buche ich meine letzten 4 Nächte. Die Reise ist jetzt durchgeplant. Es sind am Ende nur 24 Tage geworden und kein ganzer Monat aber mehr dazu an einem anderen Tag. Nach dem anstrengenden Tagesausflug bin ich müde und möchte schlafen. Gute Nacht.

Dienstag, 18. Oktober 2022 – Tagesausflug nach Salzburg

Der Wiener Westbahnhof ist mehr Einkaufszentrum als Bahnhof. Die Westbahn, die nach Salzburg fährt, ist dafür umso besser. Es gibt ein Café, funktionierendes WLAN, eine 2. Klasse Plus (was auch immer das sein mag), der Zug ist sauber und die ganze Atmosphäre ist angenehm. Die deutschen Regionalzüge könnten sich hiervon eine Scheibe abschneiden. Die Zugbegleiterin ist superfreundlich und kontrolliert sogar schon vor der Abfahrt die Tickets und checkt gleich die Sitzplätze ein, damit last-minute-Reservierungen einen freien Platz erwischen.

Am Morgen sind die Felder wieder vernebelt und mystisch. Im Laufe der Reise erstrahlt langsam das saftige Grün und auch der Wallersee beginnt wieder zu strahlen.

Ursprünglich hatte ich gar nicht vor nach Salzburg zu fahren. Aber da ich ja jetzt noch einen Tag bis Mittwoch habe, habe ich mich spontan für einen Ausflug in die viertgrößte Stadt Österreichs entschieden. Bekannt ist Salzburg als Mozartstadt, aber die Stadt kann mehr. So gibt es hier auch das Schloss Mirabell aus dem 17. Jahrhundert. Umgeben ist das Schloss von so viel Grün, dass ich fast vergessen könnte, dass wir Mitte Oktober haben. Die meisten Blumen blühen nicht mehr, aber die Rosen halten vereinzelt die Stellung.

Die ersten Vorboten sind erkennbar
»Man sollte den Blumen nie zuhören. Wir müssen sie betrachten und ihren Duft einatmen. Meine Blume erfüllte meinen ganzen Planeten mit ihrem Duft, aber ich wurde nicht glücklich darüber. Diese Geschichte von den Krallen, die mich so sehr reizte, hätte mich mehr berühren sollen« – Der kleine Prinz
Herbst in Österreich

Ich erkenne schon von Weitem die Festung Hohensalzburg, die über Salzburg thront. Ein Name thront aber auch über der Stadt. Wolfgang Amadeus Mozart. Ohne Frage ist Mozart einer der größten Komponisten der Musikgeschichte und der bekannteste Salzburger. Auf dem Weg zu Mozarts Wohnhaus verläuft mein Weg am Salzburger Theater vorbei. Da werden meine Ohren Zeugen des Einsingens. Bei offenen Fenstern schwingt der Klang der Mozartopern durch die ganze Stadt. In Mozarts Wohnung, wo ich lange verweile, kann ich mehr über das Leben und Werk des Wunderkindes lernen.

Bei Männern, welche Liebe fühlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht.

Weiter geht mein Weg auf die Salzach. Der Fluss teilt Salzburg in zwei Hälften. Bei traumhaften Sonnenschein bildet der Marko-Feingold-Steg einen perfekten Ort für eine wunderschöne Aussicht.

Ein einfach schöner Anblick!

Auf der Schwarzstraße kann ich in den Alltagstrubel der Großstadt abtauchen. Bevor mein touristisches Programm fortgesetzt wird, ist es Zeit für Käsespätzle. Sie schmecken göttlich. Selbst wenn ich den Speck explizit abbestellen muss. Vegetarisch zu sein, ist eine Kunst in Österreich, die nur wenige beherrschen.

Überfüllt? Ich weiß nicht wovon du redest

Weiter geht es in Mozarts Geburtshaus. Die Lehrstunde über das Salzburger Wunderkind geht in eine lange zweite Runde.

“Versa il vino! Eccellente Marzimino”
Nur der Freundschaft Harmonie
mildert die Beschwerden;
ohne diese Sympathie
ist kein Glück auf Erden.
„È tutto amore! Chi a una sola è fedele, verso l’altre è crudele io che in me sento sì esteso sentimento, vo‘ bene a tutte quante. Le donne poiché calcolar non sanno, il mio buon natural chiamano inganno.“ – Don Giovanni

In der Salzburger Innenstadt ist die Kirchendichte fast höher als in Italien. Aber auch nur fast, denn an Italien kommt kein Land vorbei. Außer der Vatikan. Den Anfang macht die Kollegienkirche. Im Vergleich zu den italienischen Kirchen wirken die Kirchen in Österreich aber dunkler und enger. Vielleicht ist es nur eine Einbildung von mir, aber irgendwie liegen Welten zwischen den Kirchen von heute und denen vor einer Woche.

Amen

Die Kirchentour geht weiter zum Salzburger Dom. Wir steigern uns zwar in der Größe, aber ein Vergleich zu Italien ist noch immer unfair.

Amen Teil II

Neben der kirchlichen Macht darf die weltliche Macht nicht fehlen. Wobei Salzburg die meiste Zeit der Geschichte ein Erzbistum war und somit weltliche und geistliche Macht Hand in Hand lagen. Der Residenzplatz und die Residenzen erinnern prunkvoll an die Erzbischöfe. Die Festung Hohensalzburg thront weiter über der Stadt. Für eine Wanderung hoch zur Festung liegen mir die Käsespätzle aber zu schwer im Magen.

Hoch am Himmel thront die Macht

Wie auch schon in Wien gehört ein Friedhofsbesuch einfach zu Österreich dazu, so wie der Almdudler zu den Käsepätzle. Der Petersfriedhof liegt im Schatten des Berges und hat so eine natürliche düstere Ausstrahlung.

Memento Mori

Der Abschied wird vom bekanntesten Salzburger begleitet. Unter den Augen Mozarts endet mein Salzburger Intermezzo.

Ich hoffe nicht, dass es nötig ist zu sagen, dass mir an Salzburg sehr wenig und am Erzbischof gar nichts gelegen ist und ich auf beides scheiße.“ – Wolfgang Amadeus Mozart

In meinem Hostel ziehe ich aufgrund meiner ungeplanten Verlängerung um. Vom 6-Bett-Zimmer bin ich in ein 4-Bett-Zimmer gewandert. Und ich habe es geschafft, endlich mal das Bett unten zu bekommen. Meine Zimmergenossen sind ein Australier und ein Neuseeländer. Der Australier kommt gerade aus Berlin und schwärmt noch immer von der Berliner Currywurst. Und es ist natürlich keine richtige Hostelübernachtung, wenn nicht mitten in der Nacht ein Handy vom Hochbett hinunterfällt. Das australische Smartphone wollte zurück nach down under.

Mittwoch, 19. Oktober 2022 – Die schönste Bibliothek der Welt

Der Wecker klingelt heute keine Sekunde. Ich brauche heute keinen Wecker. Vorfreude ist die schönste Freude. Ich bin so glücklich, meinen Sehnsuchtsort endlich besuchen zu können. Die Sehnsucht brennt mit großer Flamme schon lange in meinem Herzen. Nachdem es am Sonntag nicht geklappt hat, wage ich heute einen neuen Versuch nach Admont zu fahren – selbst wenn der Ort am Ende der Welt liegt.

Der Bahnhof ist am frühen Morgen menschenleer, einzig der wohlriechende Duft des Bäckers liegt in der Luft. Bis nach Linz fahre ich wieder in der gestern schätzen gelernten Westbahn. In Linz steige ich in eine winzige Bimmelbahn. Die frühe Zugfahrt belohnt mich mit einem Sonnenaufgang.

Neben der Sonne kommen die Berge des Landes hervor. Die vernebelten Berge sind ein wahres Schmankerl! Nach einer Weile, die sich in dieser Natur wie eine herrliche Ewigkeit anfühlt, erreiche ich Ardning. Ich bin in der Steiermark. Jetzt, wo ich die Natur nicht nur aus dem Zugfenster sehe, scheint die Zeit still zu stehen, so schön ist es hier. Der Ort ist – bis auf einige Kühe – komplett leer gefegt. Ich kann kaum glauben, dass hier auch nur ein Tourist jemals seinen Fuß hingesetzt hat. Meine Odyssee wird ab hier mit dem Bus fortgesetzt, der Admonter Bahnhof wird nur am Wochenende befahren.

Es ist kurz nach elf, als ich in Admont ankomme. Admont ist ein kleines Dorf mitten in der Steiermark. Bekannt ist der Ort durch das Kloster, was aber mehr als nur „ein Kloster“ ist. Die Klosterkirche ist an sich nichts Besonderes, aber auch nicht unbedeutend.

Die Klosterkirche

Das Kloster Admont ist nicht nur ein Kloster, sondern ein normales Kloster mit der schönsten Bibliothek der Welt und einem Museumskomplex auf 4 Etagen. Bevor ich die Hallen meiner Sehnsucht betrete, erkunde ich das Museum. Ich möchte die leuchtend funkelnde Flamme der Vorfreude noch etwas länger am Leben halten. Wobei das Museum für moderne Kunst, mich nicht wirklich abholt. Und die Formulierung „nicht wirklich“ ist noch schön ausgedrückt.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Viel mehr nimmt mich das Naturkundemuseum mit. Im Vergleich zum Wiener Naturkundemuseum wirkt das Admonter Museum etwas putzig. Schön und interessant ist es dennoch. Es zeigt auch, dass Naturwissenschaften und Klöster viel mehr gemeinsam haben, als man denkt. An der Stelle viele Grüße an den Begründer der Genetik und Brünner Priester Gregor Mendel.

Perry das Schnabeltier?

Es gibt auch ein kirchenhistorisches Museum im Kloster und dort findet überraschenderweise meine venezianische Suche nach dem Heiligen Gral eine Fortsetzung. Aber bei so einem perfekten Tag mit Büchern und der Natur darf das Symbol der Sehnsucht natürlich nicht fehlen. Und wo, wenn nicht im Paradis auf Erden, kann ich sonst den Heiligen Gral finden.

One thing I know. If living isn’t seeking for the grail it may be a damned amusing game.
Wählt weise

Bei einem tausend Jahre alten Kloster und einer knapp 250 Jahre alten Bibliothek haben sich einige bedeutende historische, aber auch schöne Bücher angesammelt. Die schönsten Prachtstücke werden immer wechselnd ausgestellt. Die kleine Sonderausstellung ist ein fantastischer Anblick. Es liegt in dieser Bibliothek vielleicht kein „Book of Celts“ aber imposant ist diese Büchersammlung trotzdem. Es gab Zeiten, da lagen hier mehr Bücher als in der päpstlichen Bibliothek des Vatikan.

Einfach nur magisch!

Bevor ich endlich in meinen Sehnsuchtsort eintreten kann, gibt es noch einen Ausstellungsraum über das Kloster an sich. Dieser Raum ist wirklich cool gemacht, da ich mithilfe einer Spiegel und Lichtinstallation mitten ins Geschehen eintauchen kann.

Und dann betrete ich die Halle meiner Sehnsucht. Eine große schwere Tür geht auf und die Hallen strahlen mich an. Endlich bin ich hier! Meine Erwartungen waren hoch, aber dennoch zu niedrig für diese Schönheit. Ich bin im Paradis, im Elysium. Ein Traum ist wahr geworden. Ich spüre Ekstasen des Glücks und der Zufriedenheit. Ich kann mein Glück nicht in Worte fassen und auch die Schönheit der schönsten Bibliothek der Welt nicht. Zum Glück sagen Bilder mehr als tausend Worte.

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elisium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Ich bleibe eine Ewigkeit im Paradis und staune vor mich hin. Besonders bekannt ist die Bibliothek für ihre Deckenfresken. Das Deckenfresko über die Naturwissenschaften hat mich seit Jahren in den Bann gezogen. Aber auch die anderen Fresken sind nicht nur schön, sondern auch interessant. Die ausgewählten Themen und Allegorien könnte ich stundenlang interpretieren. Oder man staunt einfach nur – so wie ich es jetzt tue. Wobei ich bei den Naturwissenschaften schon etwas länger hinsehe und mir Gedanken machen, warum und wie jetzt Chemie, Medizin oder mein Fach die Pharmazie so dargestellt werden, wie sie werden.

Bei strahlendem Sonnenschein und einem strahlenden Sehnsuchtsbummler verlasse ich Admont und die Steiermark. Die Steiermark ist ein echtes Schmankerl und hat einen ganz festen Platz in meinem Herzen.

Idylle

Im Hostel angekommen ist mein australischer Zimmergenosse verwirrt, als ich ihm erzähle, dass ich fast 8 Stunden in Bus und Bahn verbracht habe, um eine Bibliothek zu sehen. Aber es ist nicht nur eine Bibliothek gewesen. Für mich ist es die schönste Bibliothek der Welt. Und die schöne Natur des Landes hat den Weg noch sehenswerter gemacht.

Donnerstag, 20. Oktober 2022 – Transfertag

Natürlich fällt auch in dieser Nacht wieder ein Handy aus dem oberen Bett hinunter. Aber ich kann zum Glück heute ausschlafen. Das touristische Programm ruht für heute. Denn es gibt gute Nachrichten, was meine PJ-Situation von Tag 6 betrifft. Ich habe heute ein Bewerbungsgespräch und dank der Digitalisierung geht das von Wien aus. Außerdem tut ein bisschen Entspannung auch gut, selbst wenn die letzten Tage nicht mehr anstrengend waren. Ich nutze den Tag noch anderweitig sinnvoll. Ich schreibe sehr viel an dieser Seite und schwelge in alten Erinnerungen. Auf der Reise konnte meine Flamme der Begeisterung für’s Schreiben neu entflammt werden, nachdem das Staatsexamen die Flamme fast erstickt hatte. Am Nachmittag begebe ich mich auf den Weg in die nächste europäische Hauptstadt. Es geht nach Prag.

Im Zug sitzen zwei englischsprechende Reisende, die vom Konzept Kronen nicht überzeugt sind. „That makes 40 Crowns.“ – „What crowns?“ – „Czech crowns.“ – „No Euro?“ – No, no Euro.“

In der Dunkelheit komme ich in Prag an. Prag macht einen netten Eindruck, aber richtig umhauen tut es mich nicht. Das berühmt berüchtigte Prager Nachtleben deutet sich deutlich auf den Straßen an.

Gute Nacht

Das Hostel liegt in einem Prager Hinterhof und sieht etwas dubios aus. Aber was erwartet ich auch für 16 Euro die Nacht. Das Bad ist immerhin sauber. Dafür quietscht der Fußboden, die Mitreisenden kennen das Wort Ruhe nicht, das W-LAN ist grauenvoll und das Bett quietscht noch lauter. Die letzten 4 Nächte der Reise werde ich auch noch schaffen.

Freitag, 21. Oktober 2022 – Prager Herbst

Die Tschechen, die ich treffe überbieten sich in Unfreundlichkeit, aber davon lasse ich mich nicht stören. Ich wandere unbeirrt weiter durch die Stadt und erkunde das nächste Land meiner Reise. Prag wirkt dunkel und düster. Das mag am Regen liegen, aber es gibt hier auch viele gotische Kirchen und Türme, die alle nicht aus den hellsten Steinen sind. Eine düstere Abwechslung tut der Reise gut.

Into the dark

Das Herz Prags ist einer der ältesten Plätze in ganz Prag. So gehen die Ursprünge des Altstädter Ring bis in das 10. Jahrhundert. Hier stehen die St. Nikolauskirche, die berühmte und große Teynkirche oder das historische Rathaus mit einer der ältesten Uhren Europas. Es ist noch früh und der Platz ist zum Glück noch nicht ganz überlaufen. Die Kirchen sind imposant, aber die italienischen Kirchen haben mich verdorben.

Am Puls der Vergangenheit
Prager Geschichte
Italien, ich vermisse dich

Und irgendwie verfolgt mich dieser Mozart aus Salzburg. In Prag fand einst die Uraufführung einer seiner besten Opern statt. Vor der Oper erinnert eine Statue an den legendären Don Giovanni.

Questo è il fin di chi fa mal! E de’ perfidi la morte alla vita è sempre ugual!

Nachdem ich auf dieser Reise schon eine der ältesten Universitäten Europas gesehen habe, steht jetzt noch die älteste Universität des Heiligen Römischen Reiches an. Die Karlsuniversität existiert seit 1348. Der historische Charme ist noch spürbar, aber leider nicht mehr so stark wie an manch anderer Universität.

Das Carolinum

Prag hat ein großes historisches jüdisches Viertel mit vielen schönen Ecken und interessanten Museen und Synagogen. Selbst wenn das Viertel eher für die düsteren Kapitel der Geschichtsbücher steht, so strahlt es jetzt eine besondere Lebendigkeit aus. Ich komme auch hier in den Genuss von Baumstriezeln. Die Süßspeise deckt meinen Kalorienbedarf für die nächsten 2-3 Tage.

„Wenn jemand versucht, seinem Feind zu helfen, verlässt der Hass den Herz des Helfers. An seine Stelle tritt die Liebe.“ – Rav Desler
„Gast bin ich in fremdem Land“

Ich wandere ein wenig im Grau des Tages und versuche Land und Leute zu verstehen. Entlang der Moldau bildet sich eine schöne Aussicht. Und in der Stadt fällt auf, wie wenig Tschechien-Flaggen ich sehe, aber wie viele Flaggen der Ukraine ich sehen kann.

Die Moldau und die Prager Burg
Slawa Ukrajini

Ich überquere die Moldau und habe eine schöne Sicht auf die Karlsbrücke. Die Brücke aus dem 14. Jahrhundert ist eine der bekanntesten Touristenattraktionen Prags. An die römische Brücke aus Rimini kommt sie alterstechnisch nicht ran.

Prag ist für seine alten Straßenbahnen bekannt. Der historische Charme der Straßenbahn passt perfekt zum historischen Ausdruck der Stadt.

Über 7 Bögen musst du gehn
Fortschritt

Die Prager Burg ist ein anderes Höhepunkt. Hier ist die Bezeichnung Höhepunkt übrigens wörtlich zu verstehen, denn ich muss wieder einige Höhenmeter auf mich nehmen. Bevor ich das Burggelände betreten kann, gibt es einen Sicherheitscheck. Am Rande sei der Form halber erwähnt, dass die Burg UNESCO-Welterbe ist. Auf dem Burggelände befindet sich der Veitsdom. Hier fanden über Jahrhunderte die Krönungen der böhmische Könige statt. Die Schlange vor dem Dom ist länger als die vom Markusdom. Die Schlange bewegt sich zwar schneller als in Venedig, dafür ist der Dom komplett überfüllt und laut. Es ist zwar eine Sehenswürdigkeit mit Eintritt und keine Kirche mehr, aber können Menschen nicht trotzdem kurz leise sein. Der Anblick der schönen bunten Fenster lenkt immerhin ein bisschen ab und ist den ganzen Trubel wert.

Auf zur Krönung!
Immer diese Fenster in Prag

Neben dem großen Dom gibt es noch eine kleine Basilika auf dem Gelände der großen Burganlage. Die Basilika ist wesentlich älter. Sie ist viel einfacher und naturbelassener.

Stein auf Stein

Aber auch der Burgcharme darf auf dieser großen Burganlage nicht zu kurz kommen. Dafür ist die Zlatá ulička u Daliborky zuständig. Mittlerweile ist die Straße mehr Instagram-Influencer-Hotspot als Burganlage. Der mittelalterliche Charme ist aber zumindest noch etwas da.

Zeit für ein Selfie!

Und natürlich war die Burg auch einst Herrschaftssitz der böhmischen Könige. Der Thronsaal wirkt erstaunlich schlicht für die Bedeutung des Königreiches. Viel wichtiger sind in der Residenz die Fenster. Schön sind sie nicht, aber historisch sind es mit die bedeutendsten Fenster der europäischen Geschichte. 1618 fand hier der Zweite (ja wirklich schon der Zweite!) Prager Fenstersturz statt. Die Folge dieses Fensters sind 30 Jahre Krieg und Zerstörung in Europa.

Fensterputzer gesucht

Mittlerweile regnet es und der Weg zurück nach unten über das nasse Kopfsteinpflaster wird zur Rutschpartie.

Achtung Rutschgefahr!

Es geht weiter zu einem ganz besonderen historischen Ort. Es geht zur deutschen Botschaft in Prag. Ihr Balkon ist fast so berühmt wie der Balkon in Verona. 1989 hat hier Hans-Dietrich Genscher – der beste Außenminister in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands – den berühmtesten Halbsatz der Deutsch-Deutschen-Geschichte ausgesprochen.

Ich bin heute zu ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise…

In fast schon italienischer Tradition geht es in eine Kirche. Die Kirche des Heiligen Nikolas ist nicht irgendeine Kirche. Es ist die imposanteste Barockkirche, die ich außerhalb Italiens gesehen habe.

Ave Maria

Weiter im Regen geht es für mich über die bekannte Karlsbrücke. Auch hier ist wieder Vorsicht geboten, damit ich nicht hinfalle. Sonst stört mich der Regen zum Glück weniger, ich habe meine Kapuze.

Raindrops keep falling on my head

Es sind noch knapp 45 Minuten durch den Regen, bis ich am letzten Ziel des Tages angelangt bin. Es ist eine Kirche. Gotisch. Die Stimmung passt sich dem Wetter an. Auf dem Weg zur Vyšehrad finde ich aber auch einige architektonisch interessante Werke.

Interessant

Die letzte Kirche ist aber mehr als nur eine imposante gotische Kirche. Sie ist auch Burganlage und Friedhof. Hier liegen die Komponisten Antonin Dvořák oder Bedřich Smetana.

Ganz schön düster
Memento mori

Samstag, 22. Oktober 2022 – Böhmische Dörfer, Knochen und noch mehr Kirchen

Auch heute sind die Straßen Prags verregnet. Den Weg zum Bahnhof kann ich schon fast auswendig. Im Zug laufen die Tropfen des Regens die Scheibe hinunter und die tschechische Natur liegt ungestört im grauen und verregneten Nebel.

Kutná Hora

Der Bahnhof liegt außerhalb der Stadt, zum Glück ist ein Bus ins Stadtzentrum in meinem Ticket enthalten. Dieser Bus wird als RE in der Interrail App angezeigt. Eine größere englischsprachige Interrail-Gruppe ist erst verwirrt, ehe sie es wagen einzusteigen. Es regnet mittlerweile nicht mehr, diesig ist es trotzdem noch. Die Straßen sind leer gefegt. Viele Schaufenster stehen leer und wirkliches Leben kann ich nicht erkennen. Eine kleine Kirche steht leer und wird renoviert, aber sonst scheint alles still zu sehen. Die 20.000 Bewohner der Stadt scheinen alle noch zu schlafen.

Böhmische Dörfer

Das kleine Dorf hat eine Kathedrale. Die Kathedrale der Heiligen Barbara thront am Rand einer städtischen Klippe voller Weinreben. Im düsteren Nebel des frischen Morgens gibt die Kirche ein Bild für die Ewigkeit ab. Der Kontrast der riesigen Kirche zum kleinen Dorf ist ein Schauspiel.

Die Kirche ist gigantisch groß, erstaunlich leer von innen, wieder gotisch und dunkel. Diese große weite Leere der Kathedrale hat etwas ganz Besonderes.

Vernebeltes Tschechien
Barbara ich komme!
Was ist schon Gerechtigkeit?

Ich wandere ein bisschen im Regen bei 9 Grad durch die leeren Gassen des Dorfes, das natürlich wieder UNESCO-Welterbe ist und vermisse die Sonne Italiens. Mein nächstes Ziel liegt außerhalb der Stadt und ist das eigentliche Highlight der Stadt.

Welterbe in Grau

Mein Ziel liegt im Ortsteil Sedlec. Dort steht die kleine Allerheiligenkirche. Auf dem ersten Blick ist sie nicht mehr als eine kleine Kirche. Trotzdem ist die Kirche europaweit bekannt. Unter ihr befindet sich das Ossarium von Sedlec. Mehr als 40.000 Knochen von über 10.000 Personen sind hier untergebracht und wurden kunstvoll drapiert. Düsterer und makaber und zugleich faszinierend.

Everything dies, baby, that’s a fact
But maybe everything that dies some day comes back
Wer braucht schon Steine als Baumaterial, wenn es Knochen gibt

Sedlec hat auch noch ein Kloster, was allerdings nicht ganz so imposant ist wie der Rest der Stadt.

Und noch eine Kirche mehr

Im Regen laufe ich zum Bahnhof und warte auf meinen Zug und auf besseres Wetter. Mein Zug kommt, der Regen bleibt. Im Ruheabteil der Bahn ist das Wort Ruhe erneut ein Fremdwort. Nachdem ich die ganze Zeit in Böhmen unterwegs war, fahre ich jetzt in die Hauptstadt der Region Mähren.

Ich habe noch immer Spaß auf dieser Reise und ich finde es schön hier, aber die feurige Flamme der Reiselust aus Italien ist nicht mehr wirklich da. Nur liegt das jetzt an der Dauer der Reise, am Land oder doch nur am Wetter? Eigentlich ist es egal, denn Spaß habe ich trotzdem noch.

Der Zug bimmelt durch die schönen bunten Wälder. Die bunten Blätter verschwinden ab und an im Dunst des mystisch grauen Nebels. Die Natur sieht wie eine einzige Märchengeschichte aus.

Brünn

In Brünn angekommen, merke ich, dass der Ort lauter als das kleine böhmische Dorf von eben ist. Brünn ist keine Metropole, aber zumindest eine Stadt. Ich wandere ein wenig durch die Stadt und lande auf dem Marktplatz. Die Stadt wirkt nicht ganz so historisch wie Prag, aber historische Ecken sehe ich trotzdem.

Großstadtleben

Die Stadt ist übrigens wieder UNESCO-Welterbe. Und eine Kathedrale – die St. Peter und Paul Kathedrale – hat der Ort auch. Und natürlich ist der Dom wieder groß, dunkel und gotisch.

Kommt mir ja fast schon etwas bekannt vor

Ich spaziere noch ein bisschen weiter durch die Stadt und finde noch die eine oder andere schöne Straße und natürlich auch noch mehr Kirchen. Die Himmelfahrtskirche sticht hierbei besonders hervor.

Himmelfahrt
Nehmt euch in acht!

Brünn hat noch eine Universität, wobei auch diese nicht besonders heraussticht. Bis jetzt ist Brünn eine nette Stadt, aber auch kein Weltwunder. Da hilft auch nicht der Trabi über dem Bunker.

Die wichtigste Ressource eines jeden Landes – die Bildung
Go Trabi Go!

Ich finde eine kleine Kirche, die von außen komplett unspektakulär aussieht. Ich gehe trotzdem hinein. Warum, weiß ich nicht. Der Altarraum sieht gut aus. Es gibt noch einen kleinen Gang zur Seite. Am Ende des Ganges ist eine vollkommen neue Welt. Im Halbdunkel liegt der Innenraum einer der schönsten barocken Kirchen, die ich je gesehen habe. Und das Schönste ist, dass es komplett still ist und ich alleine bin. Es ist ein Zufallsfund, der mich staunen lässt.

Eine normale Kirche

Zum Abschied des Tages gehe ich auf einen der Hügel der Stadt und gönne mir das, was so ich so sehr liebe.

Frieden

In Tschechien werden die Bahnsteige für manche Züge manchmal erst kurz vorher angezeigt. Für nervöse Menschen ist das ein Problem, für mich auf meiner Reise zum Glück nicht.

Prag

In Prag merke ich, dass Samstag Abend ist. Die Stadt mitsamt allen Straßen wird zur Partymetropole. Ich hört fast nur noch englisch auf den Straßen und das Durchschnittsalter ist massiv nach unten eingebrochen. Der Duft der Stadt erinnert an den Amsterdams. Ich laufe an einer Gruppe Briten vorbei, die fast so einen starken Akzent und Pegel haben wie die Lads aus Liverpool. Alles, was ich im betrunkenen englisch verstehe ist: „Yo, I just wanna get fucked up. I don’t care anymore. Just fuck.“. Die Briten sind wahrlich eine kultivierte Hochkultur. Oder wie mein Bruder sie liebevoll nennt: „Inselaffen“.

Mein Hostelzimmer ist leer. Sie sind alle draußen auf den Straßen und genießen das Leben. So kann ich in Ruhe einschlafen und werde nur ein paar mal in der Nacht kurz aus dem Schlaf gerissen.

Sonntag, 23. Oktober 2022 – Schreckliches Wasser und leckeres Bier

Nochmal kurz umdrehen funktioniert nicht. Es ist 7:50 Uhr, als mein Wecker klingelt. Mein Zug fährt um 8:38 Uhr. Ich drehe mich noch einmal kurz um. Und schon ist es 8:15 Uhr. Zum Bahnhof braucht man eigentlich ca. 20 Minuten. In hastigen Schritt eile ich zum Bahnhof.

Auf dem Weg zum Bahnhof sehe ich auf dem Boden die Überreste der wilden samstagnächtlichen Partys verteilt. Die Stadtreinigung ist bereits fleißig am Arbeiten. Diese harte Arbeit soll hier auch nicht ungewürdigt untergehen.

Den Zug schaffe ich zum Glück, wobei das Konzept von einem Bahnsteig mit 4 verschiedenen Zügen zwar effizient, aber verwirrend ist.

Es fühlt sich gar nicht so an. Aber das ist mein letzter richtiger Tag. Ich habe mich gerade an alles gewöhnt und eine Routine in der Nicht-Routine aufgebaut. Ich kann – oder besser gesagt ich will – nicht glauben, dass es morgen zu Ende ist.

Wenigstens ist das Wetter heute besser. Die Moldau liegt noch vernebelt in der Morgenruhe. Der Nebel wird nach und nach von den Strahlen der Sonne durchbrochen. Die sonnendurchstrahlten Häuser in den Dörfern am Flussrand wechseln sich immer wieder mit den vernebelten Wäldern ab. Die Landschaft ist ein einziges Gemälde. Empfang habe ich hier keinen, bei dieser magischen Kulisse ist das besser so. Ein kleines Häuschen neben der Bahnstrecke räuchert und der Duft geht in den Zug. Der Zug schlendert durch die unberührte Natur Tschechiens und duftet von innen und außen. Wobei die Toxizität der polyzyklischen Kohlenwasserstoffe aus dem Raucharoma Teil meines Staatsexamens waren. Aber da sehe ich jetzt drüber hinweg und genieße lieber mit all meinen Sinnen meine Reise.

Marienbad

Der Bahnhof liegt abseits der Stadt. Mein Tag beginnt mit einem langen Herbstspaziergang durch Marienbad, wo mich güldene Blätter feierlich begrüßen. Die güldenen Blätter, der Ort, die Menschen oder auch der Ginkgo strahlen eine perfekte Ruhe aus. Der Ort ist die pure Sonntagsharmonie. Der lange Weg zum Stadtkern stört nicht, wenn der Weg ein so schöner beruhigender Spaziergang ist.

Begrüßung
Harmonie
Sonntagsspaziergang

Natürlich hat jeder berühmte Kurort ein berühmtes Kurhotel. Das Schlosshotel interessiert mich aber weniger als der Kurpark. In Marienbad waren zwar Könige, Dichter, Musiker und sonstige Vertreter der High Society, aber das viel wichtigere ist der große Kurpark. Kuren waren im 19. Jahrhundert zwar mehr Networking als Erholung. In der Marienbader Natur findet sich aber Ruhe und Entspannung. Einen berühmten Kurgast möchte ich erwähnen. Richard Wagner war hier für einige Zeit zu Gast. Hier fand er die Inspiration für seinen Lohengrin und seine Meistersinger.

Das LinkedIn des 19. Jahrhunderts

Das Heilbad Marienbad hat auch eine Quelle mit Heilwasser. Die Wirkung kann ich nicht beurteilen, ich kann nur sagen, dass das Wasser scheußlich schmeckt.

Die Quelle allen Lebens

In den Arkaden der Marienbader Kurhalle finde ich mehr Deutsche als Einheimische. Der Ort scheint ein beliebtes Ausflugsziel für uns Deutsche zu sein. Bei der Nähe bietet sich das auch an.

Heimspiel
Sonntagsausflug

Einen berühmten Gast der Stadt habe ich noch nicht erwähnt. Johann Wolfgang von Goethe war mehrfach in der Stadt. Er war nur wenige Male hier, hat aber trotzdem die Stadt fest in sein Herz geschlossen. Das liegt aber auch an Ulrike von Levetzow. Die fast 50 Jahre jüngere Dame hatte einen ganz festen Platz in seinem Herzen, er hat ihr sogar einen Heiratsantrag gemacht. Doch leider blieb seine Liebe unerfüllt. Seine Gefühle bleiben in der Marienbader Elegie erhalten.

In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen’s: fromm sein! – Solcher seligen Höhe
Fühl’ ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
Der ich noch erst den Göttern Liebling war;
Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
Sie trennen mich, und richten mich zu Grunde.

In der warmen Sonne ist Marienbad ein wahrer Ort der Ruhe und Entspannung. Die Bäume leuchten. Der Duft von Holzfeuer und Geräuchertem liegt in der Luft. Alles ist ruhig und perfekt. Doch der baldige Abschied macht den Tag bittersüß.

„Die Natur versteht gar keinen Spass, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer Recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.“ – JWG

Ich sitze wieder im Zug. Wie so oft in den letzten Tagen sitze ich im Zug. Die Natur rauscht an mir vorbei. Vereinzelt sehe ich Camper, doch was bleibt, ist die Natur.

Pilsen

Ich steige nicht am Pilsener Hauptbahnhof aus, sondern an einem kleineren Bahnhof am Rande der Stadt. Ich laufe durch die Straßen der tschechischen Großstadt. Die Straßen der Stadt sind groß und doch menschenleer. Ein paar Autos sind unterwegs, doch andere Fußgänger finde ich selten.

Als erstes kreuzt das Pilsener Opernhaus meinen Weg. Das Opernhaus ist jetzt kein besonderes Opernhaus, aber der kleine Park dahinter macht den Ort etwas besinnlicher. Die Rusalka Statue im Park sorgt für eine märchenhafte Stimmung.

Silberner Mond du am Himmelszelt,
strahlst auf uns nieder voll Liebe.

Weiter geht es zu einem besonderen Ort der Stadt. Es geht für mich zur Synagoge der Stadt. Es ist wirklich ein besonderer Ort, da ich bis jetzt nur zweimal in meinem Leben (in Essen und in Krakau) in einer Synagoge war. Der Ort ist wichtig, denn er ist Ort der Begegnung und ein Ort des Austauschs. Auch nach 80 Jahren darf die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten, denn wer denkt, es könnte sich nicht mehr wiederholen, der irrt.

„Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ – Talmud
Solange der Mensch lebt, hat er Hoffnung.“ (Jeruschalmi Berachot 89)

Die Straßen Pilsens sind auch weiter am Nachmittag wie leer gefegt. Selbst der Marktplatz der Stadt ist ruhig. Die Stadt lädt zum durchbummeln ein. Es ist ein würdiger Abschied für das Land.

Weltenbummler
Natürlich darf die Kirche nicht zu kurz kommen!

Die Straßen Pilsens sind breit, die Häuser sind alt und sehen schön aus. Manche sind sogar richtig bunt. Und sie sind so schön leer!

Buntes Pilsen

Ich bin ja kein Bier Fan. Eigentlich. Denn in der Hauptstadt des Bieres muss es sein. Ich gönne mir an einer der bekanntesten Brauereien Europas ein Original Pilsener Pils.

Prost

Im Zug erleuchten die letzten Strahlen der Sonne die wunderschöne Natur. Die Bäume, Flüsse, Dörfer und Menschen ziehen an mir vorbei und ich kann noch immer nicht realisieren, dass es jetzt (fast) das Ende ist.

Montag, 24. Oktober 2022 – Heimkehr

Pünktlich um halb eins kommt der Rest meines Zimmers von seiner Partynacht. Hostels werde ich so schnell nicht vermissen. Pünktlich um 5:20 Uhr klingelt der erste Wecker. Na, wenn die Person nicht auch den Zug um 6:25 Uhr nach Berlin nehmen will. Ich bleibe noch etwas liegen, ehe ich mich auf den Weg mache. Als ich um 5:45 Uhr das Hostel verlasse, liegt meine Zimmernachbarin noch immer im Bett und der 3. Snooze Alarm beginnt. Ich verlasse mein Prager-Hinterhof-Hostel und mache mich auf den Weg zu meinem letzten Tag. Ich weiß, dass es mein letzter Tag ist. Verstanden und verarbeitet habe ich es nicht. Ich laufe entspannt durch das verregnete Prag und weiche den Pfützen aus. Im Gegensatz zu gestern muss ich nicht rennen, nur meinen Rucksack tragen. Und während meine Füße einen Schritt für Schritt machen, ist mein Kopf in Gedanken. Kann es wirklich schon mein letzter Tag sein? Warum kann ich nicht ewig auf Reisen sein?

Aber warum nur 24 Tage? Ich habe doch den ganzen Oktober frei. Und ich wollte doch den ganzen Monat reisen! Aber zum einen bin ich am 28. Oktober auf einem Konzert der grandiosen Band CoMa12 also eher die Frage, warum nicht 28 Tage? Aber in den Jahren des Studiums ist leider vieles zu kurz gekommen. Dazu gehören auch Besuche bei meinen Großeltern, die um die 650 Kilometer von mir entfernt wohnen. Ich lasse für sie die zweite Interrail Reise meines Lebens und meine bislang längste Reise überhaupt ein paar Tage kürzer ausfallen.

Der Bahnsteig ist gut gefüllt. Der Bahnsteig wurde natürlich wieder erst kurz vor der Abfahrt bekannt gegeben. Die angezeigte Wagenreihung stimmt natürlich nicht. Und so endet meine Interrailreise wieder in einem 6er-Abteil. Dort, wo sie auch begonnen hat.

Durch Nacht und Nebel geht es entlang der Moldau. Im Euro City habe ich in Tschechien unbegrenzt Datenvolumen, in Deutschland maximal 200 MB pro Tag. Der Empfang lässt nach der Grenze auch nach. Das ist egal, das Elbtal lenkt alle Blicke auf sich. Im Gegensatz zu Rhein oder Mosel finde ich hier weniger Wein, aber dafür mehr Wald oder dunkles Gestein.

In Berlin steige ich dann in einen Regionalexpress um. Es geht durch Brandenburg. Natürlich ohne W-LAN im Zug und natürlich mit keinerlei Empfang. Wie sehr ich Brandenburg liebe.

Die inoffizielle Hymne des Landes

Mein Ziel: Neubrandenburg. Ich war schon dutzende Male in der Stadt. Aber noch nie mit Kamera. Und bevor ich zu meiner Familie fahre, möchte ich ein letztes Mal durch eine Stadt wandern und staunen. Selbst wenn ich mich etwas schlecht fühle, als kompletter Touri durch meine Halbheimat zu laufen. Aber die Stadt ist wirklich schön, nur kennen viele sie gar nicht. Zeit das zu ändern!

Bekannt ist die Stadt als die 4-Tore-Stadt. Die große historische Stadtmauer ist fast komplett erhalten und bekannt für die 4 Stadttore, die auch noch vollkommen stehen und wunderschön aussehen.

Und eins
Und zwei
Und drei
Und vier

Besucher finden aber nicht nur Tore an der Stadtmauer. So stehen von den ursprünglich 57 Wiekhäusern mittlerweile noch beziehungsweise wieder 25. Wiekhäuser sind kleine Fachwerkhäuschen, die zur Verteidigung der Stadt dienten. Heute sind sie Museum, Restaurant oder Büro. Die Schönheit des Fachwerks bleibt erhalten.

Die Bewacher der Stadt
Tiny houses sind ja gerade im Trend

Nicht unerwähnt darf der Fingelturm bleiben. Der kleine Turm der Stadtmauer diente lange als das Gefängnis der Stadt.

The infamous tower of London… eh Neubrandenburg

Kirchen gibt es in der Stadt natürlich auch ein paar. Die zwei wichtigsten möchte ich kurz erwähnen. Da gibt es zum einen die Sankt Johannis Kirche, die sich neben dem Regionalmuseum befindet und es gibt die Marienkirche, die als Konzertkirche genutzt wird.

Johanniskirche, Regionalmuseum und künstlerischer Mauerneubau
Es gibt schlechtere Konzerthäuser

Aber auch die schöne Natur um die Mauer herum darf an diesem wunderschönen Herbsttag nicht unerwähnt bleiben, ehe meine Reise alleine durch Europa offiziell endet.

Die grüne Mauer
Eine letzte Ruhe
It’s time to say goodbye, but I think goodbyes are sad and I’d much rather say hello. Hello to a new adventure.

Die Reise ist gerade erst geendet und ich vermisse es jetzt schon wieder. Aber wenn eine Reise endet, fängt die nächste Reise zum Glück schon wieder an. Also, auf in’s nächste Abenteuer.

24 Tage Interrail – Statistiken

Tage unterwegs24
Bereiste Länder8
Bereiste Orte42
Zugfahrten50
Gefahren Kilometer im Zug5.612
Zeit in Zügen3 Tage 4 Stunden 20 Minuten
Zurückgelegte Schritte548.728
Durchschnittliche Schritte pro Tag22.863
Gelaufene Kilometer391,64
Durchschnittliche Kilometer pro Tag16,32

24 Tage Interrail – Mein Fazit

So und was ist jetzt mein Fazit der Reise und was war mein Höhepunkt? Genau das hat mich mein bester Freund gefragt und das habe ich ihm geantwortet:

Lass mich erst einmal in der Gänze etwas Revue passieren. Also ja, erst mal war am es am Anfang sehr anstrengend, aber im Laufe der Zeit hat man eine Routine. Ich dachte ja, ich würde nie so lange es durchhalten, aber jetzt denke ich, es könnte noch ewig weiter gehen. Gut, Zeit und Geld sehen das etwas anders. Und gute Hostels sind so unglaublich wichtig und lieber sich einen Standort suchen und von da viele Ausflüge machen und so vielleicht etwas länger in der Bahn sitzen, als immer den Rucksack mit dabei haben und jede Nacht woanders sein.

So zu meinen Highlights: Boah, was für eine schwere Frage, die sich gar nicht so leicht beantworten lässt, ich habe ja so viel erlebt und bin schon bei meiner 2. Speicherkarte.

Aber Platz 1 hat definitiv das Kloster Admont mit seiner Bibliothek. Die war ja schon lange ein Traum von mir und es war fast noch schöner als gedacht. Slowenien ist als Land definitiv eine kleine schöne Perle der Natur. Italien hat mein Herz aber auch noch mehr erobert als ohnehin schon. Diese Unendlichkeit an Kultur und Geschichte. Und das Essen! Die Bibliothekserlebnisse in Rimini und Ravenna waren auch besonders. Oder der Sonnenuntergang in Triest. Und Venedig war wirklich traumhaft. Aber auch Pakostane war einzigartig in mehreren Dingen. Prag ist eine schöne Stadt, aber ehrlicherweise etwas overrated. Aber eigentlich habe ich jeden Tag schöne Momente gehabt und einen wirklich schlechten Tag gab es nie. Jeder Tag war wirklich einzigartig und schön! Aber du kennst mich. Kaum ist eine Reise fast vorbei, da freue ich mich schon auf die nächste Reise. Das waren ja nur 3 Wochen. Denn Heimweh kenn ich nicht – nur Fernweh.

– Der Sehnsuchtsbummler

Die Texte sind von Oktober 2022 bis Januar 2023 verfasst worden und dort bereits erschienen. Im März 2024 wurden die Texte verbessert, um weitere Geschichten ergänzt und erneut veröffentlicht.]

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