Ein letzter Blick auf die verschneite Pferdekoppel und wir verlassen unsere Unterkunft der letzten Tage. Unser Weg führt uns über die Ringstraße entlang der Südküste nach Osten. Wir folgen der Sonne. Der Blick aus der Scheibe ist ein Blick in eine unendliche Weite. Niemandsland. Verschneites Niemandsland. Keine Häuser, keine Menschen, keine Bäume. Einfach nichts. Schnee bedeckt die bildhübsche Ödnis. Die Sonne strahlt stärker als die letzten Tage und der Schnee taut langsam auf. Der Frühling kommt jetzt auch in Island an. Allerdings nur langsam. Noch immer sind es gigantische weiße Weiten und von dem Schnee auf den Bergen wird noch in vielen Wochen etwas zu sehen sein. Nach einer guten Stunde fahren wir von der gut ausgebauten Ringstraße auf eine kleine Nebenstraße ab. Den letzten Kilometer fahren wir auf einem geschotterten Feldweg. Vor uns eine Hütte und ein paar Autos. Natürlich alles weiße Dacia Duster.

Ich mag Autofahren nicht. Ich bin sehr froh, dass ich für diese Rundreise einen Chauffeur habe. Meine Freundin liebt Autofahren. Gewisse Klischees kommen nicht von ungefähr. Sie hat richtig Spaß daran. Für sie ist alleine das Autofahren durch die traumschöne Natur Islands ein Genuss. Beim Planen der Reise hatte sie einen Wunsch. Sie möchte gerne eine Schneemobiltour machen. In der marokkanischen Wüste konnte sie Quad fahren, jetzt soll das Eis herhalten. Ich muss zugeben, ich war skeptisch und wollte anfangs nicht. Primär, weil ich doch nicht so blöd bin und mich auf so ein Ding setze und damit fahre. Ich hasse ja schon Autofahren. Das überfordert mich bereits. Dann soll ich so ein Ding fahren? Wir konnten eine Tour finden, wo sie fährt und ich hinten Beifahrer bin. Eine Win-Win-Situation. So wie ich Vulkane liebe, liebe ich übrigens auch Gletscher. Umso schöner ist es, dass die Tour auf einem Gletscher stattfindet, der über einem aktiven Vulkan liegt. Das alleine ist für mich schon fantastisch. Wundervoll fantastisch wird es dann, wenn ich den Namen des Gletschers tippe. Eyjafjallajökull. Jener Gletscher und Vulkan, den jeder kennt, aber niemand aussprechen kann. Am Rande sei erwähnt, dass ich ihn natürlich aussprechen kann. 2010 legte ein Ausbruch des Eyjafjallajökulls den europäischen Flugverkehr lahm. Ich freue mich wie ein kleines Kind bei dem Gedanken, über jenen Vulkan zu fahren. Das ist schon irgendwie cool, oder?
Mit einem Pick-up-Bus fahren wir zu den Schneemobilen. Wir, das sind ein Dutzend Verrückte aus ganz Europa und Nordamerika. Unser Pick-up-Bus ist kein gewöhnlicher Bus. Wir benötigen eine Leiter zum Einsteigen und die Reifen des Busses sind höher als meine Freundin. Die Reifen werden während der Fahrt automatisch aufgepumpt und abgepumpt – je nach Straßenlage. Unser Bus hält kurz. Ein Schlauch dafür ist abgesprungen und muss erst wieder neu befestigt werden. Dann geht die Abenteuertour weiter. Auf Wegen, die keine Wege sind, geht es hoch hinaus. Es ruckelt und schaukelt. Ich bin froh, meinen Helm schon auf dem Kopf zu haben. Die Achterbahnfahrt führt mitten durch die dicken Schneemassen eines Gletschers. Die Aussicht ist fantastisch! Am Ziel angelangt zücken alle sofort ihre Handys aus der Tasche und auch ich habe meine geliebte Kamera* sofort in den Händen.

Es folgt eine Sicherheitseinweisung und Erklärung. Danach folgen zwei Stunden wilder Fahrspaß mit Aussichten, die sich nicht in Worte fassen lassen. Dafür bin ich zum Glück nicht nur Autor, sondern auch Fotograf. Ich knipse fleißig von meiner Heckposition Bilder. Diese unberührte Idylle ist wahrlich magisch! Meine Freundin powert sich aus und hat den Spaß ihres Lebens und ich genieße meine Fahrt durch das Elysium. Natürlich kippt unser Schneemobil auch zweimal um. Dafür hat meine Freundin ein gewisses Talent. Aber auch das ist nicht schlimm, sondern vielmehr lustig. Ich liege lachend im Schnee und freue mich wie seit langer Zeit nicht mehr. Das Umkippen hatte sogar etwas Gutes. Beim ersten Mal ist unseren Tourguides dabei aufgefallen, dass unser Gefährt ohnehin nicht getankt war. Wären wir nicht umgefallen, wären wir ohne Benzin im Niemandsland gestrandet.




Wir sitzen keine drei Minuten im Auto. Da biegen wir von einem Feldweg auf einen anderen Feldweg ab. Auf einem Feld steht das Flugzeugwrack einer US-amerikanischen DC-3, die in den 1960ern auf Island bei einer Landung beschädigt wurde. Jetzt ist sie eine kleine Touristenattraktion. Eine andere Touristenattraktion sind die weltbekannten Islandpferde auf der benachbarten Koppel. Die lassen sich fleißig von den Touristen fotografieren und streicheln.


Wir fahren keine fünf Minuten, da halten wir. Ganz in der Nähe befindet sich einer der berühmtesten Wasserfälle Islands. Der Seljalandsfoss. An sich ist der Wasserfall nicht besonders groß. Dafür gibt es einen Gang hinter den Wasserfall herum. Vor elf Jahren habe ich ihn schon umrunden können. Der Weg vom Parkplatz zum Wasserfall ist extrem rutschig. Der raue isländische Wind verteilt das Wasser fein in der ganzen Gegend und bei den eisigen Temperaturen gefriert es sofort. Am Anfang ist es eine dünne Eisschicht. Dann wird es dicker und so mancher Tourist gerät ins Straucheln. Selbstbewusst laufe und rutsche ich voran. Mir macht es Spaß. Ich kann aber auch auf Eis laufen. Selbst ohne Spikes komme ich weiter als viele mit Spikes. Ich schaffe es bis zum Rande des Wasserfalls. Umrunden kann ich ihn leider nicht mehr. Hinter dem Wasserfall ist eine zu dicke Eisschicht und auch keinerlei Halt mehr. Ich wollte noch Spikes kaufen, aber hatte mich dann doch dagegen entschieden. Hätte ich es mal doch gemacht. Ich schlittere zurück, probiere es von der anderen Seite und scheitere erneut. Wobei es kein Scheitern ist. Ich habe trotzdem Spaß und genieße das Naturschauspiel. Meine Freundin hat Respekt vor dem Eis und ihren Knöcheln. Sie genießt die Schönheit der entstehenden kleinen Kristalle und Kugeln aus Eis.


Durch den Wind sind unsere Klamotten patschnass, auch ohne unter dem Wasserfall gestanden zu haben. Trotz Eiswind scheint die Sonne und sie hilft uns, trocken zu werden. Wir wandern noch im Gelände. Vorbei an kleinen Bächen und Miniatur-Wasserfällen. Am Ende der Strecke gibt es mit dem Gljúfrabúi noch einen richtigen Wasserfall.

Wir kommen wieder auf die Ringstraße und fahren entlang der malerischen Südküste Richtung Westen. Nach den ganzen Zwischenhalten ist es schön, mal wieder etwas Strecke zu machen und die Landschaft beim Fahren zu genießen. Alle paar Minuten ruft einer von uns Wasserfall. Dutzende kleine Wasserfälle finden sich entlang der Strecke. Das Wasser kommt von den schmelzenden Gletschern und mal fällt es und mal tröpfelt es von den Steinklippen hinunter.

Wir halten. Nachdem wir einiges an Kilometern hinter uns gelassen haben, ist wieder ein Wasserfall an der Reihe. Es geht zum Skógafoss. Auch dieser Wasserfall liegt nicht weit von der Ringstraße entfernt. Fast jeder isländische Reisebus hält hier. Der Parkplatz ist groß. Am späten Nachmittag ist zwar noch immer viel Betrieb, aber außerhalb der Saison sind zumindest keine Touristenmassen mehr unterwegs. Zeitweise war dieser Wasserfall vollkommen überrannt und stand kurz vor einer Sperrung. Irgendein Justin-Bieber-Musikvideo wurde hier gedreht und Tausende Teenies zertrampelten auf ihrer rücksichtslosen Pilgerfahrt den Rasen. Der Hype lässt mittlerweile nach und die Natur kann sich frei entfalten. Meine Freundin pilgert heute ebenfalls. Neben heißen Quellen und Schneemobilfahrten hatte sie bei der Routenplanung noch einen weiteren Wunsch. Möglichst viele Drehorte ihrer Lieblingsserie Vikings* einzubeziehen. In dem Sinne: auf Floki! Wasserfälle sind per se schön. Der Skógafoss ist in diesem Moment besonders schön. In der späten Nachmittagssonne bildet sich ein Regenbogen, der uns am Wasserfall begrüßt.

Der Wasserfall ist circa 60 Meter hoch und wird begleitet von ungefähr 500 Treppenstufen zum Flusslauf. Die Treppen sind zum Glück nicht vereist und so kämpfen wir uns hoch. Die Anstrengung wird durch die Aussicht an der Spitze belohnt. Der Fluss schlingert sich elegant durch eine Schlucht, eine einsame weiße Bergspitze ist in der Ferne und umgeben sind wir von einer traumhaften Wiesenlandschaft, die eine Grasfarbe hat, die einzigartig für Island ist und sich kaum beschreiben lässt.


Wir fahren mit der Sonne im Rücken die pittoreske Südküste entlang. Wir sind in der goldenen Stunde. Die Felder werden vergoldet, der Himmel glüht und alles sieht noch schöner aus! Wie ich diese Stunde liebe! Zum Glück verreisen wir individuell und können so oft anhalten und die vergängliche Schönheit genießen.


Unsere Unterkunft ist ein kleines Hotel am Wegesrand im Niemandsland. Der nächste Ort ist eine Stunde mit dem Auto entfernt. Wie herrlich! Wir versuchen auch heute Nacht, ein paar Nordlichter zu erhaschen, aber der Ausblick ist getrübt. Zu viele Wolken sind am Himmel.

Die Reise erfolgte im März 2025

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