Ein brauner Balken durchkreuzt das Bild. Eine tiefblaue Harmonie wird durchbrochen. Der blau funkelnde See wird durch einen Steg durchbrochen. Einzig und allein bleibt der Himmel wolkenlos und blau. Der Steg ist leer. Es herrscht Stille. Zu Wasser, zur Luft und zu Lande. Noch trage ich eine Jacke über meinem T-Shirt. In den Morgenstunden ist es noch etwas frisch. Ich starre auf die erschütterte Harmonie und verfalle dabei immer mehr der alten blauen Harmonie. Den Steg ignoriere ich und sehe nur noch das blaue Meer. Freiheit. So muss sie aussehen. Keine Menschen und einfach nur Leere und Harmonie. Immer dann, wenn ich Freiheit spüre, spüre ich Sehnsucht. Freiheit und Sehnsucht gehören für mich unzertrennbar zusammen. Wenn ich mich frei fühle, verspüre ich Sehnsucht. Und bei Sehnsucht denk ich an die Freiheit. Diese Ehe aus Freiheit und Sehnsucht hat für mich einen Namen: Glück. Und dieser Name hat viele Synonyme Seelenfrieden, Erfüllung, Berufung, Antrieb, Existenzberechtigung oder Zufriedenheit. Wenn ich mich frei fühle, dann bin ich ich. Sehnsuchtsbummler, das ist mehr als ein billiger Weltenbummler Abklatsch. Sehnsuchtsbummler, das bin ich und das ist ein Lebensgefühl.

Wo bin ich eigentlich? Erneut im Münchener Umland. Meine Freundin ist wieder auf Fortbildung und ich erkunde die Seen der Umgebung. Sozusagen bin ich auch auf Fortbildung. Denn nichts bildet einen Menschen so sehr wie das Reisen. Nach Tegernsee, Starnberger See oder Chiemsee ist heute der Ammersee an der Reihe. Gepaart wird die Fortbildung mit einer kleinen Wanderung. So wird aus der kleinen Fortbildung ein fantastisches Seminar. Neudeutsch würde man das Ganze wohl als Mikroabenteuer bezeichnen. Wie ich diesen Moment nenne, interessiert mich aber überhaupt nicht. Ich gehe Schritt für Schritt voran und genieße die Aussicht. Ich freue mich über jeden Vogel im Wasser und so langsam sehe ich auch wieder Menschen.


Ich verlasse die Gemeinde Herrsching und laufe am Ufer des Sees Richtung Süden. Menschen kommen mir keine entgegen. Dafür kommt nach und nach die Sonne hervor. Ich erfreue mich an den Bäumen zu meiner linken Seite, dem Weg vor mir und ich erfreue mich an dem See zu meiner Rechten. Nach zahlreichen kleinen privaten Stegen kommt jetzt ein etwas größerer öffentlicher Steg. Ich zögere keine Sekunde und springe auf den Steg auf. Ich laufe zum Ende. Richtung Freiheit. Die Aussicht ist fantastisch. Neben der blauen Sehnsucht erblicke ich sogar die Kirche am anderen Flussufer.



Die Zeilen kommen zwar nur so kurz vor, doch tatsächlich bin ich relativ weit gewandert und fast am Seeende angelangt. Nun möchte ich hoch hinaus. Ich will Richtung Kloster Andechs. Dafür muss ich Höhe gewinnen. Ich könnte die Straße nehmen. Ich lasse es aber. Ich will durch den Wald. Nichts ist schließlich schöner als eine Waldwanderung. Ich könnte den großen Wanderweg nehmen, mache ich aber nicht. Ich nehme einen kleinen Waldpfad. Zu Anfang ist er noch gut erkennbar. Dann folgt altes Laub, Gras und der ein oder andere umgestürzte Baum. Alles drei vergrößert sich exponentiell mit jedem Schritt und so ist der Pfad bald nicht mehr zu erkennen und ich stehe mitten im Nirgendwo. Pünktlich zur Mittagssonne – die Wolken sind weiter glücklicherweise verschollen – kämpfe ich mich durch einen mit Laub und Ästen versperrten Pfad auf die Spitze des Hügels. So wie die Schweißperlen mir die Stirn runterlaufen, fluche ich innerlich. Selbst wenn ich weiß, dass ich genau das am Wandern liebe. Ich bin vollkommen off-road unterwegs. Ich bin im Herzen der Natur. Ich bin eins mit der Natur. Ich bin glücklich. Die Luft riecht nicht nur nach den süßen edlen Düften des Waldes. Ein viel größerer Duft schwebt im Moment über mir. Die Luft riecht nach Freiheit. Ich kämpfe mich den Hügel hoch und erreiche den Weg. Aber auch diesen genieße ich. Wald bleibt schließlich Wald.




Der Wald wird weniger, ich überquere eine große Landstraße und die Wiesen verdrängen die Bäume. Mein Ziel naht. Das einzige, was mir noch im Weg steht, sind gefühlt hunderte Treppenstufen und dann habe ich es geschafft. Das Ziel enttäuscht aber. Zu viele Menschen sind mir hier. Die schöne Ruhe verstummt. In der Kirche passieren Taufen und Gottesdienste wie am Fließband. Die Touristen sind hektisch und laut. Der einstige Ort der Ruhe wird zum großen Trubel. Zum Glück werde ich von meiner besseren Hälfte bald erwartet. Und diesmal habe ich ihr versprochen, pünktlich zu sein. Die letzten Male war ich das schließlich nie. Der See war doch immer zu schön und die Zeit verging zu schnell. Menschenauflauf sei Dank, heute werde ich wenigstens einmal in all den Wochen pünktlich sein.



Und dann geht es zurück zum Bahnhof. Wieder durch Wald und Wiese. Wieder in Ruhe. Glücklich und zugleich wehmütig sitze ich in der S-Bahn nach München-Giesing, jenem Ort, wo Seminar und Fortbildung aufeinandertreffen.
Die Reise erfolgte im April 2025

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