Himmel, Erde und der Horizont verschwimmen. Kleine Piekse fahren mir durch das Gesicht. Alles ist grau und doch zeitgleich grell. Ein weißer Schleier weht durch die Luft. Kleine Wassertropfen bilden sich in meinem Gesicht. Die Finger werden starr und doch bitzeln sie immer wieder. Die Nase läuft.
Es ist Winter. Schneemassen bedecken den Bahnhof, der vor lauter Winzigkeit den Namen Bahnhof gar nicht verdient hätte. Straße, Bürgersteig und Grünflächen sind zu einer großen weißen Masse verschwommen. Eine Landstraße muss ich überqueren und dann steht da das Schild. Forstenrieder Park. Links Wiese, vorne Weg und rechts Wald. Und doch ist alles eins. Schnee. Trotz der grauen Wolken strahlt mich die Zukunft an. Es ist ein einzig wahres Winter Wonderland!

Eine Abzweigung bahnt sich an. Instinktiv laufe ich nach rechts. Ich habe keine Route, aber dort ist der Wald und dort ist es leer. Dort bin nur ich und die Natur. Nein, hier ist die Natur. Ich werde eins mit der Natur. Ich bin mit Schnee bedeckt und durch meine Lungen strömt die frische Brise der Freiheit. Die Bäume lächeln mich an und ich lächle ihnen zurück. Ich hüpfe freudig durch den Wald wie ein kleines Kind. Auf einmal ein Rascheln in der Peripherie. Die Tannenzapfen wackeln und der Schnee rieselt herab. Das schwarze Fell wird mit Schnee berieselt, so wie eine Waffel mit Puderzucker. Kurz schauen wir uns gegenseitig in die Augen und ehe ich meine Kamera* zücken kann, eilt es schon wieder davon. Der Moment vergeht. Ganz flüchtig, ohne Bild. Die Schönheit verweilt. Ich bleibe weiter im Wald und marschiere weiter. Jedes Knarzen meiner Schritte im schneebedeckten Forst erfüllt mein Herz mit innigstem Glück. Ich laufe und das Glück läuft weiter. Sind die tränenden Augen Produkte des Glücks oder doch nur Reaktionen auf die eisige Kälte? Ich weiß es nicht. Ich folge weiter meinem unbestimmten Pfad und fühle mich, als wäre ich einer der großen Polarforscher um Shackleton, Scott und Amundsen. Ich marschiere, bis ich auf einen Zaun treffe. Jetzt ist es an der Zeit, den Waldweg zu verlassen und in das Herz des Waldes fortzuschreiten. Vielleicht finde ich meinen schwarzen Freund ja wieder.

Ich wandere so lange, bis ich irgendwann wieder auf dem Hauptweg des Geländes ankomme. Die Menschen kehren wieder ein. Ich folge dem Weg. Meine Stoffmütze ist mittlerweile nicht mehr schwarz und trocken. Sie ist weiß und feucht. Doch das ärgert mich nicht. Ich strahle weiter, so wie das Weiß auf meinen Kleidern. Aber was war das? Etwas Schwarzes huscht durch das weiße Getümmel. Die Schneeflocken wirbeln sich in der Luft und die Büsche schwanken trotz Windstille. Mein schwarzer Freund ist wieder zurück. Ich freue mich, ihn wiederzusehen. Diesmal sogar mit Kamera in der Hand. Im Schneetreiben wird er aber nicht scharf und so verfolge ich einfach nur lustvoll mit meinen Augen die Tritte meines Freundes und schreite weiter voran.

Am Ende des Weges steht eine kleine Hütte. Sie blickt auf den Teil des Waldes, der nicht betreten werden darf. Nicht weil ein alter Fluch darauf liegt, sondern weil er ein Rückzugsraum für die Wildtiere sein soll. Ich sitze in der Hütte und ruhe meine Beine aus, während ich mein Herz an die Belastungsgrenze bringe. Zahlreiche Wildschweine und Hirsche rennen an meinen Augen vorbei. Mein Herz pumpt vor lauter Glück am Rande der Belastbarkeit. Und gerade als ich denke, es könnte nicht besser werden, kommt ein Fahrzeug der bayerischen Forstbetriebe. Es ist Fütterungszeit und die Zahl der Tiere nimmt dramatisch zu. Meine Handschuhe brauche ich nicht mehr, meine Linse glüht und meine Finger werden warm an meinem Auslöser, der zum wärmenden Abzug für mich wird. Das warme Blut durchströmt meine Adern und ich bin in der Endstufe der Glückseligkeit angelangt.






Die Schweißperlen auf der Stirn brennen in den kühlen Winden. Mir wird kalt. Ich bin auf dem Rückweg. Das Glück scheint wie die Wärme zu verfliegen. Ich will nicht gehen. Ich will hier in der Natur bleiben. Ich will bei mir bleiben. Das einzige, was bleibt, sind Wehmut und ein paar warme Gedanken an die schöne Vergangenheit. Ich rede mir ein: Irgendwann wirst du dich freuen an dieser schönen Erinnerung. Doch jetzt ist mir nur kalt.
Ein letzter Blick nach hinten und da sehe ich ihn wieder. Mein schwarzer Freund ist wieder da und schaut mir noch einmal tief in die Augen, um Lebewohl zu sagen. Mach’s gut, mein Freund!



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Die Reise erfolgte im Februar 2025
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