Łódź
„Die Stadt ist aber ganz schön verranzt.“, so das vernichtende Urteil meines Bruders über Łódź. Ein bisschen hat er recht, wobei ich es anders formulieren würde. Der Regen vom Vormittag hilft der Stadt und ihrer Erscheinung auch nicht. Łódź – das einst den Titel Polens Manchester trug – ist in die Jahre gekommen. Die Straßenbahnen sind älter, in der Innenstadt fehlt das Grün und die Luft stinkt nach alten Dieselmotoren.
Über 900 Kilometer sind es von Hessen bis nach Łódź. 10 Stunden saßen wir im Auto. Nachdem wir einen Parkplatz gefunden haben und im Hotel eingecheckt haben, geht es für uns in die Stadt. Wir brauchen Bewegung. 10 Stunden im Auto sitzen ist anstrengender als 10 Stunden laufen. Am Ende der langen Hauptstraße kommt Licht auf. Die Abendsonne erscheint. Ein kleiner Park durchbricht das triste Stadtbild. Der Park tut mir, der Luft und dem ersten Eindruck der Stadt gut.
Die Reise ist eine Geschichtsreise. Unser Ziel: die Wolfsschanze im Nordosten Polens. Aber auch dieser Zwischenhalt ist geschichtsträchtig. Die düstere Wolke der Vergangenheit schwebt tief über dem Ort, der einst für 4 Jahre den Namen Litzmannstadt trug. Wir finden immer wieder kleine Erinnerungsstücke an jene grauenvolle Zeit. In Łódź befindet sich der größte jüdische Friedhof Europas. Es ist ein weiter Weg, aber wir laufen trotzdem dorthin. Wir merken mit jedem Meter, wie anstrengend die Hinfahrt war. Umso ernüchternder, als wir am Friedhof feststellen, dass er geschlossen hat. Es ist Sabbat. Daran hätten wir auch gleich denken können.
Wir laufen langsam zum Hotel zurück und legen uns schnell ins Bett und finden die verdiente Erholung.





Die Wolfsschanze
Wir fahren ausgeruht los. Es liegen vier Stunden Autofahrt vor uns. Die erste Hälfte des Weges verläuft wieder über polnische Autobahnen. Die letzten Meter fahren wir auf kleinen Landstraßen durch die endlose Weite der Masuren. Städte gibt es hier keine, es gibt nur noch Dörfer und verstreute Höfe.
Kurz vor unserem Ziel wird der Weg durch große Anzeigetafeln geleitet. Die Tafeln machen Werbung für Panzerrundfahrten, die wir unternehmen könnten. Wir sind irritiert. Je näher wir der Wolfsschanze kommen, desto mehr Werbetafeln erscheinen. Wir dachten, die Wolfsschanze sei ein historischer Ort und Gedenkstätte für den 20. Juli 1944 und kein Vergnügungspark. An der Wolfsschanze angekommen, merken wir, dass es viel schlimmer ist als angenommen. Dieser historische Ort ist zu einem Freizeitpark verramscht worden. Fahrten in Panzern oder anderen Wehrmachtsautos werden angeboten. Informationstafeln finden wir kaum, dafür Eisdielen, Biergärten und Souvenirshops. An einer Gedenkstätte erwarte ich Sachbücher im Souvenirshop. Es ist keine Gedenkstätte. Es gibt alles Mögliche an Wehrmacht- und Militaria-Souvenirs. Wehrmachtshelme, Handgranaten-Schlüsselanhänger oder auch sehr authentisch aussehende Scheinwaffen finden wir in den Läden. Es ist ein schizophrenes Trauerspiel. Der Fokus liegt auf der Unterhaltung, nicht auf der Bildung.
Welches Klientel finden wir an der Wolfsschanze? Männer. In erster Linie finden wir Männer. Die meisten sind Polen, die Panzer fahren wollen. Deutsche finden sich auch. Einige sind davon geschichtsinteressiert, so wie wir. Viele sind Männer, die Panzer fahren wollen. Und bei einem Teil der Besucher lässt sich die politische Gesinnung erkennen. Das sind Pilger und keine Besucher.
Das Schönste an dem Ort ist der Wald. Die Wolfsschanze liegt mitten im Wald. Wölfe sehen wir (leider) nicht. Trotz Bunker und Freizeitpark ist der Wald natürlich. Es ist ein Wald und kein Forst. Das liegt auch daran, dass es kaum richtige Wege gibt. Die Bunkerüberreste sind lieblos abgezäunt. Die Wolfsschanze ist auch ohne Panzerfahrt ein kleines Abenteuer. Ein paar erhaltene Gebäude gibt es, die wir besuchen können. Für Geschichtsinteressierte ein wirklich interessantes Abenteuer.
Untergebracht sind wir in der ehemaligen Offizierskaserne. Die Stimmung einer Kaserne trägt das Zimmer nach 70 Jahren weiter in sich. Die Handgranaten vom Souvenirshop verfolgen uns. Unser Zimmerschlüssel hängt an so einem Schlüsselanhänger und auch beim Betätigen des Klosettzuges entsteht ein solcher Lärm, dass wir denken könnten, jemand wirft eine Handgranate.


Masuren und Breslau
„Das ist ein weites Feld“, sage ich ironisch. Das dunkle Grün der Wiesen ist unendlich. Es ist still. Ab und an steht eine Holzhütte in der Landschaft. Die grünen Wiesen werden nur durch Wälder und Seen durchbrochen. Ein paar kleine Dörfer gibt es. Die unberührte Natur dominiert die Masuren. Die Unberührtheit der Natur und die enorme Fläche beeindrucken mich. Ich hatte Masuren nie auf dem Schirm, aber jetzt bekomme ich Lust auf ein Naturabenteuer im Osten Polens.
Wir fahren in ein kleines Dorf ein. Keine Menschenseele ist auf den Straßen. Eine Seele finden wir auf der Straße. Ein Fuchs liegt am Ortseingang. Unser Auto beeindruckt ihn wenig, er steht langsam auf und legt sich auf den Gehweg.

Nach über 500 Kilometern sind wir in Breslau angekommen – laut meinem Bruder deutlich weniger verranzt als Łódź. Die schlesische Hauptstadt hat einen großen historischen Kern und wirkt bunter, sauberer und einladender. Die Gebäude sind imposanter. Der Dom der Stadt steht auf einer eigenen Insel.
Überall in der Stadt stehen kleine Zwergstatuen aus Metall. Sie sind eine Erinnerung an die Proteste gegen die sozialistische Obrigkeit und heute die größte Sehenswürdigkeit Wrocławs. Neben Zwergen aus Metall finden sich heute viele Menschen in Grün in der Stadt. Die irische Fußballmannschaft spielt morgen gegen die polnische. Die Iren erobern am Tag vorher die Stadt für sich. Mein irisches Herz freut sich.





Gefällt dir der Beitrag?
Dann unterstütze mich und meine Arbeit doch gerne in Form einer Kaffeespende. Ich würde mich wahnsinnig über deine Unterstützung freuen 🙂 Einfach hier klicken!
5,00 €
Die Reise erfolgte im September 2018



Gefällt dir der Beitrag? Dann kommentiere jetzt hier!