Heute ist unser längster Tag. Entlang der Südküste geht es vorbei an Reykjavik auf die Snæfellsnes-Halbinsel. Noch ist die Sonne versteckt, doch der Himmel ist klar und es ist trocken. Perfekte Bedingungen für einen Roadtrip. Das einzige Problem: Der erste – von vielen – Zwischenstopp steht an, da sind wir noch keine Viertelstunde unterwegs. Fjaðrárgljúfur. Was für ein Name! Was für eine Wucht dieser Name hat. Dieser Ort ist ein besonderer Ort. Fjaðrárgljúfur ist eine Flussschlucht, die über zwei Millionen Jahre alt ist. Seit Millionen von Jahren existiert dieser Ort und heute spazieren wieder zwei Reisende an den Klippen entlang. Der Aufgang ist steil und die Wege sind eine Mischung aus schwarzem Schotter und weißem Schnee. Meine Freundin flucht. Ihr Knie schmerzt noch seit jenem Sturz des ersten Tages. Renn doch nicht so, schallt es von hinten. Durch Glück und Freude beflügelt, eile ich den Weg hinauf. Ich liebe Klippen. Sie stehen für mich für Sehnsucht und Freiheit. Pures Glück eben. Meine Freundin verzieht vor Knieschmerzen ihr Gesicht. Ich versuche zu helfen, das Grinsen meiner Backen verursacht aber nur Wut. Wie kann es denn sein, dass es mir so leicht fällt und ich so viel Spaß daran habe, grummelt es hinter mir. Ich liebe das Wandern. Ich liebe Herausforderungen. Meine Ausführungen darüber sähen aber nur mehr Frust und so schweige ich und genieße innerlich. Am Ziel angekommen, lächelt auch meine Freundin wieder.


Die Straßen sind so leer wie die Landschaft. Ab und an kommt uns ein Auto entgegen. Die Ruhe, die Einsamkeit, die Schönheit der Natur – all das macht Island so einzigartig und wundervoll. Die Hälfte der Reise ist geschafft. Ich will gar nicht daran denken. Auf den einsamen isländischen Straßen könnte ich den Rest meines Lebens verbringen. Hier dominieren Frieden und Schönheit. Mein Puls passt sich der Ruhe der Weite an und mein Kopf kann abschalten. Ein Ort von purem Glück.
Ich schlendere auf der Karte nach Orten zum Beinevertreten. Ich finde die Hjörleifshöfði-Höhle, die nicht weit von der Ringstraße entfernt liegt. Der Name ist abenteuerlich wie der kleine Zubringer dahin. Ohne Markierungen oder Schilder ist es ein grober Schotterweg Richtung Süden. Der Allradwagen zeigt seine Vorteile und meine Freundin hat Spaß. Begrüßt werden wir von einem Wikingerboot. Meine Freundin vergisst ihr schmerzendes Knie und eilt zum Schiff. Sie lächelt jetzt so wie ich in der Schlucht.
Wir machen uns auf den Weg zur Höhle. Die Höhle ist winzig. Eigentlich ist es nur ein kleines Loch in einem Hügel mitten im Nichts, umzingelt von schwarzem Lavasand. Eigentlich. Ich verabscheue dieses Wort. Trotzdem stehen hier noch mehr Menschen als die zwei verrückten Deutschen. Der Eingang der Höhle sieht so ähnlich aus wie eine Silhouette von niemand Geringeren als Großmeister Yoda aus Star Wars. Dass ich Star Wars Nerd bin, ist bei mir und meiner verrückten Art wohl für dich nicht überraschend. Ich grinse und freue mich wie ein kleines Kind über diese Zufallsentdeckung.



Wir halten an der bekanntesten und meistbesuchten Stadt der Südküste. Wobei Stadt eine Übertreibung ist. 645 Einwohner hat Vík í Mýrdal. Dafür mehrere Tankstellen und Supermärkte. Zwei Sachen, die an der Südküste rar sind. So nutzen auch wir den Ort als Nachschublager. Es folgt noch ein kleiner Ausflug zum schwarzen Strand von Vík. Dort erblicke ich, was bald kommt, bevor ich mich wieder ins Auto setze.

Wind weht durch meine Haare. Die Luft riecht nach Freiheit. Ich schmecke Salz, wenn ich über meine Lippen fahre. Ich bin am Meer. Die Weite des Atlantiks liegt vor mir. Hinter mir liegt eine geologische Wucht. Wie gestern stehen gewaltige Felsformationen vor mir. Es ist wirklich erstaunlich, wie schön, aber auch faszinierend so ein paar Steine sein können. Ich kenne den Ort zwar schon, aber das mindert nicht dessen Schönheit. Der Wind ist rau und das Wasser schnell. Dutzende Schilder warnen vor der Gefahr des unberechenbaren Wassers. Doch die Touristen aller Herren Länder geben ihr Bestes für das eine Foto. Einige werden nass dabei und andere rennen quietschend vor dem Wasser weg. Ein kleines Lächeln habe ich auf meinen Lippen. Etwas Schadenfreude habe auch ich manchmal. Im Atlantik trotzen drei Felsen den Stürmen. Es sind die Reynisdrangar. Der Legende nach drei versteinerte Trolle.



Die gleichen Trolle, ein anderer Ort. Wir stehen in Dyrhólaey am Rande einer Klippe. Die drei Trolle sind im Hintergrund. Im Vordergrund liegen die blaue Perle namens Atlantik und gigantische Mengen des schwarzen Vulkanstrandes. Versteinerte Lava trifft das Wasser. Zwei Gegensätze treffen aufeinander. Genau das ist Island. Das Land von Feuer und Eis. Das Land der Gegensätze.
Ich atme die Luft der Freiheit ein und staune vor mich hin. Ich beobachte die zahlreichen Vögel und ärgere mich, nur mein kleines Objektiv* dabei zu haben. Der Ärger verweilt nur kurz in mir. Freiheit und Freude dominieren mein Hirn.



Jetzt liegt die größte Fahrstrecke vor uns. Bei Sonnenschein fahren wir Richtung Westen. Vorbei an Dutzenden Gletschern, Island-Pferden, Wasserfällen und Gewächshäusern. Zeit zu genießen und zu entspannen.


Reykjavik haben wir hinter uns gelassen. Es geht in Richtung Norden. Der Schnee kommt wieder und es sind noch weniger Autos auf den Straßen. Wir unterqueren den Hvalfjörður. Am anderen Ende des Tunnels halten wir zeitnah. Diese Schönheit wollen wir uns nicht entgehen lassen. Den Namen hat der Hvalfjörður von den Walen. Auch ohne Wale lässt sich die Schönheit des Ortes nicht in Worte packen.

Mit dem Schnee kommt der Nebel. Es wird dunkler, die Straßen werden schlechter, die Landschaft karger und die Region einsamer. Es ist Liebe auf den ersten Blick. In der Region war ich noch nicht. Aber ich bin schockverliebt. Wie kann eine Gegend nur so schön sein?
Wir nutzen die Zeit im Auto für die Feinjustierung unserer Route. Eigentlich wollten wir am Tag vor dem Abflug in die berühmte Blaue Lagune. Ein Herzenswunsch meiner warmwasserliebenden Freundin. Eigentlich. Wie ich dieses Wort hasse. In den letzten Jahren ist ein Vulkan in unmittelbarer Nähe zur Blauen Lagune mehrmals ausgebrochen. Es war zwar nie gefährlich, aber Straßen mussten evakuiert werden und die Blaue Lagune ebenfalls. Und das innerhalb von 30 Minuten. Seit Wochen brodelt es unter dem Vulkan wieder. Kleine Erdbeben erschüttern die Region und Dampf steigt aus dem Boden. Der isländische Wetterdienst erhöht die Warnstufe und meldet, ein Ausbruch stünde kurz bevor. Wir gehen auf Nummer sicher. Wir lassen den Besuch in der Blauen Lagune. Meine Freundin verflucht diesen elenden Vulkan. Sie beschimpft ihn und wird bockig wie ein kleines Kind, das sein Spielzeug verloren hat. Ich verstehe sie. Ihr Traum ist gescheitert. Trotzdem freue ich mich auch. Ich habe den Traum, einen Vulkanausbruch zu sehen. Die Gefahr eines Ausbruches ist sehr gering. Der Naturliebhaber in mir hofft darauf, dass er ausbricht. Meine Freundin schüttelt nur zornig mit dem Kopf.

Ich stehe bis zu den Knöcheln in Matsch. Ich kann keine hundert Meter weit in die Ferne schauen. Mitten in diesem Matsch soll sich angeblich eine heiße Quelle befinden. Wir waten durch den Sumpf und dann entdecken wir es. Ein kleines Loch. Keine zwei Meter im Durchmesser. Dafür heißes Wasser in der Mitte. Heute liegt zwar kein Schnee neben uns, aber trotzdem ist es ironisch, wie wir hier liegen. Umzingelt von Matsch und Nebel wärmen wir uns in heißem Wasser.

Die Dunkelheit bricht ein. Wir sind wieder von Schnee umzingelt. Der Himmel leuchtet zum Abschied auf und der Tag schwindet vor sich hin.

Die Reise erfolgte im März 2025

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