Sehnsuchtsbummler

Ich mag Zwerge. Schon beim Herrn der Ringe war Gimli mein Lieblingscharakter. In Fantasygeschichten und alten Mythen bin ich immer für Zwerge. Und ich bin wirklich ein Nerd, was das angeht. Zwerge sind für mich per se cool. Der erste Halt des heutigen Tages ist Dverghamrar. Zu deutsch heißt das Zwergenklippe. Laut den isländischen Sagen leben hier Zwerge. Und wenn das die Sagen behaupten, dann stimmt das. Über die isländischen Sagen und Mythen und das Verhältnis der Isländerinnen und Isländer dazu lassen sich ganze Bücher schreiben. Das ist mir aber egal. Ich grinse. Ich bin bei den Zwergen. Ich bin glücklich. Die Schönheit der einzelnen Blöcke aus Vulkangestein verfeinert den Moment. Wir sind alleine in diesem Paradies aus Stein. Ein bisschen was hat es vom UNESCO-Welterbe Giant’s Causeway, ich will nicht vergleichen. Das Zwergenheim würde das Duell aber gewinnen.

Wir fahren weiter und halten nach kurzer Zeit wieder. Ein Wasserfall liegt am Straßenrand. Einer von vielen. Das wissen wir spätestens seit gestern. Aber so unterschiedlich und einzigartig schön wie alle anderen Wasserfälle.

Die Sonne scheint und die Straßen sind frei. Optimales Roadtrip-Wetter. Die Straßen schlängeln sich durch die atemberaubende isländische Natur. Links und rechts ist nichts. Ein großes Nichts. Keine Bäume, keine Wiesen, keine Häuser. Nicht einmal Schnee liegt am Wegesrand. Das Einzige, was wir sehen, ist eine schwarze Wüste aus Lavagestein. Wir fahren von der schwarzen Wüste geradezu auf einen Flecken Weiß zu. Vor uns liegt der Skaftafell-Nationalpark. Ein Gletscher, der zum UNESCO-Welterbe des Vatnajökull-Nationalparks gehört. Wir brechen auf ins ewige Eis Islands.

Wir stellen unser Auto ab. Wir haben es geschafft. Wir sind am Skaftafell-Nationalpark angekommen. Die große Bergwand aus Schnee liegt direkt vor uns. Selbst wenn am Boden kein Schnee mehr liegt. Die Sonne scheint und das Grün kommt langsam zum Vorschein. Vor einer kleinen Holzhütte beginnt unser Abenteuer. Wir unternehmen eine mehrstündige Gletscherwanderung. Mehr als vier Stunden werden wir auf den vereisten Gipfeln des Gletschers verbringen. Ich freue mich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Da ich bereits in Island war, hatte ich nur eine Bedingung an diese Reise. Ich will eine Gletscherwanderung machen. Und ich bekomme meinen Wunsch erfüllt. Ich grinse die Blockhütte an und will sofort loslegen. Zunächst gibt es aber noch eine Sicherheitseinweisung und ein paar Formalitäten für unsere kleine Reisegruppe. Die sind auch wichtig, denn man sollte niemals ohne Planung einen Gletscher besteigen.

Die Fahrt zum Fuße des Gletschers ist eine reine Achterbahnfahrt. Es schunkelt und schaukelt. Wir kommen kaum vom Fleck. Ich bin erneut froh, dass ich meinen Helm schon anhabe. Spaß habe ich trotzdem. Und davon nicht wenig.

Am Fuße des Gletschers angekommen laufen wir noch etwas durch Geröll, bis wir an dem Punkt sind, wo es Zeit wird, unsere Spikes anzuziehen. Vorher gibt es für uns noch eine kleine Vorstellungsrunde. Wir sollen sagen, wie wir heißen, woher wir kommen und was wir gerne machen. Ja richtig, was wir gerne machen. Nicht in deutscher Manier stumpf unseren Beruf sagen, sondern unsere Passion nennen. Während ich als Sehnsuchtsbummler das Reisen nenne, erfüllt meine Freundin das gute deutsche Klischee. Sie sagt: I’m Lisa and I like car driving.

Am Anfang sehen wir noch ein paar Touristen, doch die verschwinden nach einer Zeit. Die meisten buchen eine Mini-Wanderung. Wir haben zum Glück (dank meiner Insistenz) die ausführliche Wanderung gebucht. Und so wandern und klettern wir mitsamt Spikes und Steigeisen durch das ewige Eis Islands. Extra für diese Gletscherwanderung haben wir uns im Vorhinein dicke Winterjacken gekauft. Jetzt ist keine Wolke am Himmel und strahlender Sonnenschein. Nach den ersten Höhenmetern stehen wir im T-Shirt am Gletscher. Die Wanderung ist anstrengend. Aber Bäche plätschern neben uns. Blaue Eiswände schimmern und alles ist weiß und strahlend kristallblau. Die Luft ist rein und klar. Es ist still und friedlich. Die Aussicht einfach nur magisch. Die Wanderung ist der Inbegriff der Freiheit. Ich bin glücklich. So glücklich wie noch nie in diesem Jahr.

Die Sonne strahlt in den Rückspiegel. Wir fahren weiter Richtung Osten. Meine Lieblingsstunde beginnt bald. Die goldene Stunde. Wir fahren zum bekanntesten Teil des Vatnajökull-Nationalparks. Zum Diamond Beach und zum Jökulsárlón. Der Jökulsárlón ist ein Gletschersee. Vor 11 Jahren bin ich mit einem Boot über ihn gefahren. Auch hier wollte ich wieder hin. Das ewige Eis fasziniert mich. Doch das ewige Eis ist nicht ewig. So lange es das Eis noch gibt, möchte ich es genießen. Es war damals so atemberaubend schön. Dieser Anblick vor elf Jahren hat mich maßgeblich geprägt. Er ist mit dafür verantwortlich, dass aus einem Maximilian der Sehnsuchtsbummler wurde.

Der Gletschersee liegt ganz nah an der Atlantikküste. Nach und nach brechen Eisschollen vom Gletscher ab und fließen in Richtung Atlantik. Viele Eisblöcke landen zunächst auf dem schwarzen Lavasandstrand. Dort glänzen sie wie Diamanten – daher der Name – am Strand. Mit der untergehenden Sonne wird der Moment noch schöner.

Der eigentliche Höhepunkt ist die Gletscherlagune. Die Schönheit ist atemberaubend. Es ist ein Anblick von Frieden. Hier bin ich Mensch, hier bin ich glücklich. Wir bleiben lange hier. Laufen den Weg auf und ab und genießen. Wir genießen die zerbrechliche Schönheit unser Mutter Erde. Die schönste Stunde des Tages vergeht und wir sehen einen der schönsten Sonnenuntergänge aller Zeiten.

Die Reise erfolgte im März 2025