Ich blicke aus dem Fenster und sehe so viel und zugleich nichts. Eine weiße, schier unendliche Weite. Das Weiß der Berge und das Weiß der Wolken lassen sich kaum unterscheiden. Ein paar graue Steinkanten sprenkeln das Bild.

Ich blicke aus dem Fenster und sehe Weiß. Doch diesmal ist der Anblick viel schöner. Die Sonne neigt sich ihrem Untergang zu und somit beginnt die schönste Stunde des Tages. Die Lichtstrahlen durchstechen das weiße Paradies. Wir haben März und trotzdem fühle ich mich wie im tiefsten Winterzauber.

Die schönste Stunde des Tages erreicht ihren Höhepunkt. Pünktlich zum Sonnenuntergang fahren wir in Hveragerði ein. Trotz nahender Dunkelheit dominiert weiterhin das Weiß. Die Erde Hveragerði brodelt. Überall dampft es. Eine heiße Quelle jagt die nächste. Unsere Unterkunft liegt mitten im Schnee. Das erste Abenteuer beginnt. Wir bringen unsere Koffer in unser Zimmer und ziehen uns unsere Wanderschuhe an.

Keine zehn Minuten später stehen wir mit unserem weißen Mietwagen am Reykjadalur-Parkplatz. Der Himmel leuchtet rosa, die Erde weiß. Für diese Schönheit lässt sich kaum ein Wort finden. Mein Herz pocht und das Blut in meinen Adern überdeckt die Kälte. Die kalte Luft durchströmt meine Lungen, ehe sie als weißer Rauch meinen Mund verlässt und sich in der magischen Kulisse verfliegt. Ein kleiner Berg liegt vor uns. Durchströmt von einem dampfenden Fluss. Auch im Berg brodelt es. Keine Sorge. Ein Vulkan ist es nicht. Nur eine heiße Quelle mitsamt Fluss. So sagen es zumindest die Schilder und das Internet. Unter unserer Wanderhose ist eine Badehose. Dort oben soll es eine heiße Bachbadestelle geben.


Das Licht der Sonne versiegt und wir machen uns auf den Weg. Laut Internet braucht man 30 bis 60 Minuten, ehe man ein heißes Bad nehmen kann. Ein paar Menschen kommen uns entgegen. Sie fragen, ob wir zur Badestelle wollten. Auf unser Ja folgt ein zierliches, stummes Lächeln. Der Weg den Berg hinauf ist vereist. Und so kämpfen wir uns Schritt für Schritt nach oben.

Nach jeder Kurve des Weges wird die nächste Erhöhung sichtbar. Unsere Trinkflasche ist mittlerweile halb voll und das Eis unter unseren Füßen dicker. Der erste Sturz der Reise ist längst passé. Die Sonne ist fast verschwunden. Wir sind alleine in der Ewigkeit Islands.

Unser Wasser ist leer. Eine tiefe Schicht aus Eis und Schnee macht jeden Schritt schwerer. Die Landschaft ist noch schöner geworden. Wir laufen seit 45 Minuten. Schilder gibt es keine. Und obwohl es nur einen Weg gibt, haben wir das Gefühl, uns verlaufen zu haben. Wir müssten doch längst da sein. Oder das Ziel zumindest sehen. Laut Google Maps sind wir am Ziel vorbeigelaufen. Aber da war doch nichts? In der Satellitenansicht sehen wir unser Ziel auf unserem Smartphone. Wir haben gerade einmal die Hälfte geschafft. Es ist dunkel, eiskalt und wir sind erschöpft vom Flug und vor allem vom vereisten Weg. Spikes haben wir nicht. Jetzt könnten wir noch umkehren.

Der Traum meiner Freundin ist, in einer heißen Quelle mitten im Nichts zu baden. Und sie ist ein sturer Mensch. Ein sehr sturer Mensch. Entgegen jeglicher Logik marschieren wir durch das Nichts. Die Aussicht können wir mittlerweile nicht einmal mehr genießen. Als erfahrener Wanderer schreite ich voran. Meine Freundin verflucht mich. Warum renne ich so, schallt es von hinten. Ich frage sie, ob wir umkehren sollen. Doch die Sturheit bekommt ihren Willen. Mitsamt Fluchen, Zwischenstopps und Atemnot. Und so leuchte ich einsam mit meiner Taschenlampe den Weg.

Ich fühle mich wie eines meiner großen Idole. Jetzt habe ich es geschafft. Ich bin in die Riege der großen Abenteurer aufgestiegen. Shackleton, Amundsen, Scott und jetzt der Sehnsuchtsbummler. Meine Freundin sehnt sich derweil nur nach einem heißen Bad. Meine Taschenlampe ist leer. Und so muss ich alle paar Minuten kurbeln, damit wir Licht haben. Schlau wie ich war, habe ich auf diese Funktion beim Kauf Wert gelegt. Leider ist mir zwischenzeitlich meine Taschenlampe hinuntergefallen und ein Teil abgebrochen und das Kurbeln wird noch mühseliger. Wenn es schon schiefgeht, dann richtig.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir unser Ziel. Aber wir sind nicht einmal alleine. Es gibt noch mehr Verrückte auf dem Planeten. Wir greifen voller Vorfreude auf ein heißes Bad ins Wasser. Auf eine Wiedergutmachung für all die Strapazen. Aber dazu kommt es nicht. Das Wasser ist lauwarm und selbst bei Minusgraden langt es gerade so für ein kleines Fußbad. All das für nichts. So viele Strapazen und dann werden wir nicht einmal belohnt. Aber das stimmt nicht. Die Natur war atemberaubend schön. Es war zwar anstrengend, trotzdem hat sich jeder Meter dieses Abenteuers gelohnt. Zumindest sehe ich das so. Die Sturheit meiner Freundin ist noch nicht von ihrem Glück überzeugt. Ich schon. Ich bin in meinem Element. Genau das macht eine Islandreise für mich aus. Schnee, Abenteuer und Naturwandern.

Erschöpft und zumindest zu einem Teil ernüchtert machen wir uns auf den Weg zum Parkplatz. Jetzt geht es bergab. Was auf den ersten Blick toll erscheint, entwickelt sich zum Problem. Die Eisschicht ist nicht spontan geschmolzen und das Kurbeln der Taschenlampe noch immer beschwerlich. Und so folgt ein Sturz auf den nächsten. Besonders amüsant ist es, als meine Freundin stürzt und ich zu ihr eilen will. Zack! Und wir liegen beide am Boden. Vollkommen erschöpft erreichen wir unser Zimmer. Die heiße Dusche haben wir uns mehr als verdient!
Die Reise erfolgte im März 2025

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