Ein frisch bestandenes Staatsexamen und ein Interrail Ticket für einen Monat: Darum geht es in der Reihe Mein Monat. Bevor du diesen Beitrag liest, ist es vielleicht sinnvoll, erst die vorherigen Beiträge zu lesen.
Sonntag, 16. Oktober 2022 – Tag 16
So und dann kommt mein Zug halt erst an Tag 16 und nicht an Tag 15 an. Es ist ein bisschen ärgerlich, aber es ist mein erster Nachtzug und heute ist der Tag, wo ein Traum von mir wahr wird.
Die 25 Minuten Verspätung stehen zwar noch immer an, aber mittlerweile sind es jetzt schon 35 Minuten.
Mittlerweile zeigt die Anzeige einfach nur noch „verspätet“ an. Zum Glück habe ich über eine Stunde Umsteigezeit und Nachtzüge haben ja oft noch zusätzlich einen langen Aufenthalt in den Bahnhöfen.
Jetzt, wo der Zug eine Stunde Verspätung hat, wird die Sache schon kritischer. Aber immerhin gibt es jetzt die Aussage 70 Minuten Verspätung. Wobei die 70 Minuten ja noch kein Problem wären. Die 70 Minuten sind dann aber auch durch und die Anzeige zeigt 100 Minuten Verspätung an. Wenn das so weiter geht, habe ich wirklich ein großes Problem.
Wir sind mittlerweile bei 130 Minuten Verspätung. Ich stehe seit über 6 Stunden an diesem Bahnhof und so langsam wird der Traum zum Albtraum. Admont liegt so abgelegen, ich muss meinen Anschlusszug um 8 Uhr bekommen. Es muss auch heute klappen, denn morgen und übermorgen hat mein Traumziel geschlossen. Wenn es heute mit Admont nicht klappt, muss ich direkt weiter nach Wien fahren und der Traum ist ausgeträumt für mich.
Jetzt sind es schon 170 Minuten Verspätung. Um kurz vor halb zwei habe ich übrigens einen zweiten Pulli angezogen. Denn es ist sau kalt und die Wartehalle wurde um halb eins geschlossen. Danke dafür übrigens. Vor lauter Verzweiflung bin ich schon vier Kilometer am Bahnhof auf und abgelaufen. Ich werde wohl mein Programm einfach auf 2 Tage aufteilen und mir etwas Erholung gönnen. Die habe ich nach dieser Nacht auch bitternötig.
Ich habe noch in Venedig überlegt, ob ich nicht das Ticket ab Venedig kaufen soll, da ich gerne am Anfangsbahnhof einsteige. Ich hätte ja genügend Zeit dafür gehabt. Ich dachte dann aber den Aufwand brauche ich mir nicht zu machen. Hätte ich das mal gemacht, dann würde ich jetzt zumindest nicht in der Kälte stehen.
Warum will ich eigentlich unbedingt nach Admont? Ganz einfach: Ich liebe Bibliotheken. Und in Admont steht die wohl schönste Bibliothek der Welt. Ich kenne zwar nur Bilder, aber die sind atemberaubend genug gewesen. Trinity College war schon ein Sehnsuchtsort für mich, aber das ist jetzt die Endstufe. So habe ich mich auch schon früher sehr für Naturwissenschaften interessiert und ein berühmtes Fresko der Bibliothek war sehr lange das Titelbild des passenden Wikipedia-Artikels und hat so prägende Eindrücke bei mir hinterlassen.
Is a dream a lie if it don’t come true
Or is it something worse
– Bruce Springsteen
Mit über 3 Stunden erreicht der Zug dann Udine. Ich habe meine Sitzplatzreservierung ja erst am Abend des 14. Oktobers gekauft, daher war die Auswahl der Plätze etwas begrenzt. Ich lande natürlich wieder in einem 6er-Abteil. Leider schlafen dort schon 4 Personen. So ist es dort viel zu eng und unbequem. Ich schlafe ja am liebsten auf einem 2er-Platz im Zug. Aber ich bin so müde und erschöpft, dass ich trotzdem etwas Halbschlaf finde. Für zukünftige Reisen werde ich aber den Nachtzug einfach früher buchen oder wieder tagsüber fahren und die Aussicht genießen.
Es ist halb acht, als ich in Salzburg aufwache. Das sind über 2 Stunden Verspätung. Meinen Anschlusszug werde ich wohl nicht mehr schaffen. Also geht es für mich einfach weiter nach Wien. Ich hatte es ja bereits geahnt und mich mental darauf vorbereitet. Laut DB App fällt die Weiterfahrt des Nachtzuges sogar aus. Die Bahnsteiganzeige sagt aber nur, dass der Zug jetzt unter einer anderen Nummer weiterfährt. Ich habe aber keine Lust mehr auf das überfüllte Abteil und fahre einfach mit dem Railjet nach Wien. Für Salzburg ist es gerade einfach noch zu früh und ich bin zu erschöpft. Der Regio ist wenigstens leer und im Ruheabteil habe ich auch Platz zur Erholung. Außerdem habe ich ja jetzt Zeit… Übrigens, weil der Tag so super war, habe ich im Nachtzug auch meine Kontaktlinse im Halbschlaf verloren. Also ruhe ich jetzt mit Brille weiter im Regio.
Aber dafür versucht sich wenigstens die traumschöne österreichische Natur zu entschuldigen. Österreich im Morgengrauen ist ein echtes Schmankerl. Das Licht der Morgendämmerung und der Nebel über dem Wallersee und den weiten Feldern und Wiesen ist einfach ein mystischer und schöner Anblick. Da vergesse ich fast die Nacht.
Die Ruhe der Natur muss jetzt nur noch auf das Abteil überschlagen. Ein älteres Ehepaar hat nämlich nicht wirklich verstanden, was der Begriff Ruheabteil bedeutet. Und dann steigt wenig später noch eine Familie mit Kleinkind ein. Bei dieser Aussicht will ich aber ohnehin nicht schlafen.
Wien ist eine wunderschöne Stadt. So schön, dass ich vor 3 Monaten extra nach Wien gefahren bin. Trotz dessen und meiner Klassenfahrt vor 5 Jahren habe ich noch 2 Dinge, die ich mir hier ansehen möchte. Für diese zwei Dinge habe ich jetzt ganze zwei Tage Zeit. Etwas Erholung soll ja auch nicht schaden.
Wien ist am Morgen auch noch etwas kalt und vernebelt. Aber ich trage ja sowieso noch meinen zweiten Pullover. Ich war zwar schon zweimal in Wien, aber ich habe es trotzdem noch nie auf den Wiener Zentralfriedhof geschafft. Vielleicht auch deshalb, weil er zwar Zentralfriedhof heißt, er aber nicht wirklich zentral liegt. Aber warum will ich eigentlich auf einen Friedhof? Der Wiener Friedhof ist nicht irgendein Friedhof. Er ist der berühmteste und touristisch meistbesuchte Zivilfriedhof Europas. Der Friedhof ist schließlich die letzte Ruhestätte zahlreicher berühmter Künstlerinnen und Künstler und so Pilgerstätte zahlreicher Europäer. Mehr Touristen besuchen wahrscheinlich nur die Soldatengräber in der Normandie. Und er ist so groß, dass er eine eigene Buslinie hat. Ich laufe natürlich trotzdem. Selbst wenn das keine kurze Strecke ist. Der Friedhof liegt auch noch im morgendlichen Nebel und hat so einen ganz mystischen und düsteren Charme.



Wie bereits angedeutet ist der Friedhof eine große Touristenattraktion. Es gibt zahlreiche Führungen. So liegen hier ja auch alle großen Komponisten Österreichs. Vom Mozart & Salieri bishin zu Beethoven findet man alle. Wobei man nicht weiß, wo Mozart genau begraben ist, da er in einem anderen Wiener Friedhof kein Einzelgrab bekommen hat. Eine Statue steht hier trotzdem als symbolisches Einzelgrab. Aber auch Udo Jürgens und Falco finden sich auf dem riesigen Areal. Bei Falcos Grab ist die Bezeichnung Pilgerstätte definitiv auch die richtige. Falco-Fans sind ja ohnehin berüchtigt. Aber ein wahrer Fan pilgert mindestens einmal in seinem Leben zur Ruhestätte des großen Meisters.


Und die altvertrauten Lieder
Schenk‘ nochmal ein,
Denn ich fühl‘ die Sehnsucht
Wieder, in dieser Stadt
Werd‘ ich immer nur ein Fremder sein, und allein

Auch beim Rückweg laufe ich wieder zu Fuß und nutze nicht den Friedhofsbus. Die Dimension des Friedhofs ist wirklich unbeschreiblich. Es ist definitiv eine interessante Erfahrung über den Wiener Zentralfriedhof zu spazieren.
Zurück in der Wiener Innenstadt bin ich dann etwas irritiert, da ich zwar offene Buchhandlungen an einem Sonntag finde, aber keine offenen Supermärkte. Nach einer Zeit finde ich aber auch die und kann mein Mittagessen erst einmal im Park einnehmen.
Ich schlendere jetzt durch die wunderschöne Stadt und genieße einfach Wien. Ich schlendere aber nicht ziellos durch Wien. Das Naturhistorische Museum Wien steht schließlich noch auf meiner Liste. Mitten im Wiener Zentrum nahe der Hofburg steht dieser Prunkbau. Architekt des Bauwerks ist übrigens kein geringerer als Gottfried Semper, den man besonders auch in Dresden gut kennt.

Die ersten Hallen des Museums sind der Geologie gewidmet. Sie sind überfüllt mit Mineralien, Steinen und Edelsteinen. Ein Objekt sieht gefühlt schöner als das andere aus. Diese bunte Farbenvielfalt ist einfach ein traumhafter Anblick. Ich verstehe jetzt umso besser, wie der von mir so sehr verehrte Alexander von Humboldt beim Studium der Geologie seine Liebe zur Naturwissenschaft und Natur gefunden hat. Die Kunst der Natur ist so schön, wie sie kein Mensch erschaffen kann. Natürlich findet sich in den Hallen auch ein Stalagmit aus der Höhle von Postojna.


Aber auch die Geschichte kommt hier nicht zu kurz. So gibt es hier auch Ausstellungsräume über die Anfänge der Menschheitsgeschichte und den Beginn der Zivilisation. Bei der berühmten, aber winzigen Venusstatue bin ich etwas an Blaubeuren erinnert.

In diesem Museum gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt. Besonders angetan bin ich aber von der Südamerika-Ausstellung. Ich verspüre eine unglaublich große Tropensehnsucht. Ich liebe Europa. Aber meine Sehnsucht für eine Reise in die Tropen lässt sich kaum in Worte fassen. Eines Tages bin aber auch ich in den Tropen.

Neben den Tropen geht es in dem Museum aber dann auch noch Unterwasser und zurück zu den Dinosauriern. Wie gesagt, es gibt nichts, was es nicht gibt.


Wusstest Du eigentlich, dass die Giraffe sieben Halswirbel hat? Und wusstest Du, dass der Mensch auch sieben Halswirbel hat? Schon irgendwie faszierend. Das alles (und noch viel mehr) lernst du in der zoologischen Abteilung des Museums. Du lernst aber auch viele ausgestorbene Arten kennen. Im Gegensatz zu den Dinosauriern sind diese Arten aber aufgrund einer anderen Spezies ausgestorben. Verantwortlich für die meisten ausgestorbenen Arten der letzten Jahrhunderte ist kein geringerer als der Mensch. Momentan sind circa. 41.500 Arten vom Aussterben bedroht. Die zerstörerische Gewalt, die der Mensch an die Natur anlegt, macht mich wütend und bringt mich an den Rande der Verzweiflung.
Trotzdem oder gerade deshalb hat sich der Besuch des naturhistorischen Museums gelohnt und ich kann mich auf dem Weg zu meinem Hostel machen. Das Hostel Ruthensteiner ist eines der berühmtesten Hostels in ganz Wien. Ich will mich ja immer meinem Gastland anpassen und will daher diesmal in der Landessprache einchecken. Ich werde aber gefragt, ob ich das auch auf englisch machen könne. Es ist wirklich ein sehr internationales Hostel. Auch meine Mitreisenden sind von überall aus der Welt und nicht aus der direkten Umgebung. Ich beschließe übrigens spontan meinen Aufenthalt um zwei Tage zu verlängern. Ich will nach Admont. Mittwoch öffnet das Kloster wieder für Besucher und Mittwoch werde ich dort sein. Ich plane einfach ein bisschen um und fahre von Wien als Tagesausflug nach Budapest und suche mir noch etwas in der Nähe für Dienstag. Ich lasse meine Träume nicht von der ÖBB wegnehmen. Wien ist schließlich – wie ich vor 3 Monaten gelernt habe – die Stadt der zweiten Chancen.

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Hi Max, erinnert mich fast wörtlich an meine Interrail-Reisen – vor fast 50 Jahren: Nachtzüge waren für mich die Regel, um Geld für Hostels zu sparen. Ich habe damals in einem Jugendgästehaus in Plötzleinsdorf gewohnt, heute bevorzuge ich Hotels in der Josephsstadt. Ach Wien … so viele schöne Erinnernungen 🙂
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