Unscheinbar spektakulär. So lässt sich diese Stadt wohl am besten beschreiben. Es ist Anfang September 2020. Es ist ein warmer Sommertag. Die Sonne scheint und alle Menschen scheinen gute Laune zu haben. Als ich aus dem Zug aussteige, ist mir noch nicht bewusst, dass ich heute meine Lieblingsstadt das erste Mal betreten werde. Es ist eine Reise zu einer bis dahin noch unbekannten Schönheit und eine Reise zu neuen Erkenntnissen des Lebens.
„Der Mensch muss das Große und Gute wollen. Das Übrige hängt vom Schicksal ab.“, diese Worte schrieb der von mir so sehr verehrte Alexander von Humboldt, kurz bevor er seine Südamerika-Reise begann. Ich habe schon immer das Reisen sehr geliebt. Nach meinem Ersten Staatsexamen habe ich mir daher dann vorgenommen, „das Große“ zu wollen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, jede Woche einen Ort zu besuchen, an dem ich noch nicht war. Das kleine Marburg sollte den Anfang machen.
Gemütlich. So lässt sich der Marburger Bahnhof am besten beschreiben. Meine meisten Reisen beginnen an einem Bahnhof. Das ist meistens kein schöner Start für eine Reise, aber der Bahnhof hier ist zwar keine atemberaubende Schönheit, aber definitiv nichts Unschönes. Mit seinen 6 Bahnsteigen und seiner allgemeinen Art ist er doch recht gemütlich. Um den Bahnhof ist es noch etwas laut und voll, aber bereits nach wenigen Metern ist es schon wieder ruhig und idyllisch. Mein erstes Ziel ist die bekannte Elisabethkirche. Mein Weg führt mich über die Lahn. Ich bin noch nicht lange unterwegs, aber ich muss trotzdem direkt halten. Dieser Anblick ist einfach wunderschön. Das Grün lächelt einen direkt an. Die Bäume und die Lahn strahlen eine Idylle aus, die sich nicht beschreiben lässt. Ich erkenne früh, dass Marburg meine Liebe auf den ersten Blick ist. Ein winziger alltäglicher Moment reicht aus und ich habe mich in diese Stadt verliebt.

Nach diesem traumhaften Anblick verspüre ich eine wahnsinnige Leidenschaft, diese Stadt weiter zu entdecken und mache mich weiter auf den Weg. Es sind nur wenige Schritte bis zur Elisabethkirche. Ich sehe zunächst die Rückseite der Kirche. Sie ist umgeben vom Mineralogischen Museum und ein paar anderen Häusern. Die ersten Anblicke langen und ich bin begeistert. Ich liebe historische Stadtkerne. Das Ensemble von Häusern versetzt mich in eine andere Zeit. Stünden die Autos nicht vor der Kirche, könnte man das Datum vergessen.

Ich umrunde die Kirche mehrfach und stehe dann direkt vor ihrem Eingang. Ich blicke nach oben und die hohen gotischen Türme lassen mich ganz ehrfürchtig werden. Wenn man direkt vor der Kirche steht, fühlt man sich ganz klein.

Mein Weg führt mich weiter zum Alten Botanischen Garten. Als Pharmazeut habe ich natürlich gewisse Prädispositionen bezüglich solcher Orte und steige sofort die Treppenstufen hinunter und betrete den Garten. Die Sonne strahlt mir dabei direkt in die Augen und ich bin geblendet. Aber nicht von der Sonne, sondern von der Schönheit dieses Ortes. Ein solch strahlendes Grün habe ich seit Langem nicht mehr gesehen.

Ich setze mich auf eine Bank, genieße das Grün und lausche den Gesängen der Vögel. Ich genieße diese Wunderschönheit und möchte diesen Ort eigentlich nicht mehr verlassen. Nach einer Weile stehe ich auf und spaziere durch den Park. Ich habe keine gezielte Richtung und lasse mich einfach von der Natur treiben. Nach kurzer Zeit entdecke ich einen kleinen See in der Mitte des Parks. In dem See liegt ein verrottender Baumstamm. Er liegt dort bewusst und wird absichtlich nicht entfernt. Es ist dieser Anblick der Verbindung zwischen rauer ungestümer Natur und der Geschichte, der mein Herz in andere Dimensionen höherschlagen lässt.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und der Anfang meines „Großen“ ist definitiv zauberhaft. Ich wandere noch einige Zeit durch den Park, ehe ich wieder aufbreche.
Mein nächstes Ziel ist die Universität. Jene Universität, die schon Alma Mater zahlloser legendärer und wundervoller Menschen ist. Der Anblick ist imposant. Ich bin begeistert von der historischen Architektur. Ich würde am liebsten mein Studienfach- und Ort wechseln, nur um hier zu studieren. Allerdings ist beim zweiten Nachdenken das Theologiestudium vielleicht doch nicht das Richtige für mich.

Es sind eigentlich Semesterferien und dann ist ja auch noch gerade diese fürchterliche Pandemie. Die Universität ist daher eigentlich geschlossen. Aber auch nur eigentlich, die Tür ist nämlich offen. Ich wandle durch die leeren und eher düsteren Gänge. Es ist etwas unheimlich so durch die leeren Gänge zu schlendern. Die leeren Gänge bringen aber auch Vorteile mit sich. Eigentlich ist die renommierte Aula wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, aber so kann ich mir sie trotzdem kurz anschauen. Sie ist zwar in großen Teilen verhüllt, aber trotzdem erkenne ich diese Schönheit. Ach, was würde ich dafür geben, hier als Student zu sitzen! Ich laufe weiter durch die Gänge und entdecke eine Tür zum Innenhof. Traumhaft, magisch und wunderschön. So lässt sich dieser Innenhof perfekt beschreiben. Es ist paradox, dass ich an diesem Ort eine solche Magie und einen solchen Zauber fühle. Es ist ein kleiner Innenhof, der an sich nicht besonders ist, der aber eine verzaubernde Wirkung auf mich hat.

Nach einiger Zeit in dieser gespenstigen Uni verlasse ich das Gebäude und mache mich auf den Weg in die Altstadt. Die Altstadt wird auch Oberstadt genannt, da sie auf bzw. um einen Berg ist. Die zahlreichen Höhenmeter und das Kopfsteinpflaster erschweren den Lauf, aber ich bin von einer solchen inneren Motivation beflügelt, dass ich das kaum merke. Die Altstadt ist relativ verwinkelt. So richtig weiß ich nicht wie ich laufe, aber ich lasse mich einfach treiben. Diese Stadt hat einen solchen Flair, der einen sofort zum Verweilen einlädt. Das Rathaus fällt im Stadtbild kaum auf.

Eine wesentliche Determinante der Schönheit dieses Flairs ist die wundervolle Fachwerkarchitektur. Ein feuriges Rot und ein nächtliches Schwarz durchbrechen immer wieder das Stadtbild. Die zahlreichen kleinen Gassen laden dazu ein, vom Wege abzukommen und auf eigene Faust seiner Sehnsucht freien Lauf zu lassen. Und so schlendere ich in der Ewigkeit der Schönheit durch die Stadt dahin. Es sind lauter Kleinigkeiten in dieser Stadt, die sie so schön machen.

Mein Weg führt mich nicht nur in immer höhere emotionalen Ektasen sondern auch in immer höhere Höhenmeter. Es ist schließlich so weit und mein Weg führt nun direkt zum Schloss. Es wird steiler und die wenigen Wolken verschwinden, sodass der Weg immer anstrengender wird. Aber ich weiß, es wird sich rentieren. Auf dem Weg gibt es immer wieder Anspielungen an die Märchen der Brüder Grimm. Das passt wunderbar zu dieser märchenhaften Stadt. Ich habe es nun fast geschafft und das Landgrafenschloss kommt immer mehr zum Vorschein.


Als ich endlich oben angekommen bin, ist das schönste nicht das Schloss sondern die Aussicht. Der lange anstrengende Weg hat sich definitiv gelohnt. Es ist wundervoll zu sehen, wie viel Grün und wie viele Bäume die Stadt und ihre Umgebung in sich trägt.

Ich kann aufgrund der aktuellen Lage leider nur ein paar Teile des Schlosses besichtigen. Es wirkt zunächst etwas leer, doch dann erreiche ich den spätgotischen Prunksaal und bin begeistert. Die Holzarbeit ist beeindruckend fein und detailliert. Sich vorzustellen, wie viele Stunden Arbeit darein gesteckt wurden, ist nahezu unmöglich. Der Vollständigkeit halber sei das kleine kulturhistorische Museum im Erdgeschoss erwähnt, für mich persönlich aber kein Highlight.
Nach dem Besuch des Schlosses geht es in den Schlosspark. Die Rosen im Garten blühen zwar nicht mehr, aber die grünen Bäume strahlen dafür umso intensiver. Es ist erneut diese raue Natur, die mein Herz fesselt.

Mein Weg zurück führt noch etwas durch den Park und so habe ich noch ein bisschen die Chance, Natur und Schloss genießen zu gönnen.

Eigentlich möchte ich zurück zum Bahnhof, um von dort den Bus zum Spiegelslustturm zu nehmen. Aber ich lasse mich vom Weg dahin einfach treiben und habe so einen Blick auf die Dächer Marburgs, der herzerwärmend ist. Wie kann man sich so nicht in diese Stadt verlieben?

Ich weiß nicht, wie mein Weg mich leitet und so habe ich es irgendwie vor die St. Marien Kirche geschafft. Im Vergleich zur Sicht vom Schloss ist die Sichtweise von unten eine komplett andere. Ein Perspektivenwechsel kann manchmal echt faszinierend sein.

Ich schaffe es dann irgendwie zum Bahnhof und bekomme dort einen Bus zum Universitätsklinikum. Dieses ist etwas weiter weg von der Innenstadt und steht auf einem Hügel. Dort angelangt, möchte ich aber nicht ins Krankenhaus. Von dort geht es zum Spiegelslustturm. Mein Weg führt mich durch 1,4 Kilometer Wald, oder wie ich es nennen würde – durch 1,4 Kilometer grünes Paradies.

Nach einigen Minuten erreiche ich dann den einsamen Turm. Die Reise hat sich definitiv gelohnt. Von hier oben hat man eine traumhafte Aussicht auf Marburg.


Nach einiger Zeit laufe ich zurück zum Bus, um mich auf den Weg nach Hause zu machen. Im Wald denke ich lange über den heutigen Tag nach. Was hat Marburg, dass ich mich so in diese Stadt verliebt habe? Sie ist so unscheinbar spektakulär. Es sind die vielen kleinen Dinge, die so liebenswert macht. Ja, der Mensch muss das Große und Gute wollen, aber es sind oft die kleinen Dinge des Lebens, die der Schlüssel zum Glück sind. Es reicht nicht nur an alle Ort der Welt zu reisen und sich die großen Sehenswürdigkeiten anzuschauen, der wahre Reisende schaut immer zuerst auf die kleinen Dinge.
Es sind die kleinen Dinge des Lebens, die der Schlüssel zum Glück sind.

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Max…Du bist ein Künstler. Ich war schon öfter in Marburg und ja, diese Stadt hat etwas magisches.
Deutschland ist schön!!!
…nur weiter so. Ich bin gespannt auf deine weiteren Reisen😍
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Ich bin wieder begeistert und freue mich auf den nächsten Beitrag
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